Vickers Wellesley Mk.I LRDUvon Roland Sachsenhofer (1:72 Valom)Zur Vickers Wellesley Mk.I
Die Vickers Wellesley verblüfft schon auf den ersten Blick- und hält Bemerkenswertes auch noch für den zweiten, dritten und selbst vierten Blick bereit. Diese Eigenschaft finde ich persönlich immer interessant. Als ich auf das Angebot des Herstellers Valom gestoßen bin, war es also eine rasche Entscheidung, nun eine Wellesley endlich auch wirklich zu bauen.
Dass die Wellesley leicht abseits des mainstreams angesiedelt ist, zeigen etwa die überraschend langgestreckten Tragflächen mit einer hohen Streckung von 8,83. Die damit verbundene erstaunliche Spannweite von 22,6 Metern wird durch die Relation zur Rumpflänge verdeutlicht, die mit 11,96 Metern nur etwa die Hälfte beträgt. Diese ungewöhnliche Proportion sollte für stabile Flugeigenschaften, vor allem aber für eine hohe Reichweite sorgen.
Ihr auffallendes Erscheinungsbild wird weiters durch die Form des Einbaus des Bristol Pegasus XX Sternmotors bestimmt. Nur mit einem schmalen Townend Ring verkleidet scheint er auf dem sich zu einem stumpfen Kegel verjüngenden Rumpfbug geradezu zu balancieren. Der resultierende seltsam unproportioniert wirkende Anblick ist aber auch bei anderen zeitgenössischen Flugzeugen zu sehen und scheint damals durchaus „state of the art“ gewesen zu sein.
Wirklich einzigartig dagegen macht die Wellesley allerdings die Konstruktionsweise von Rumpf und Flächen. Traditionell wird die Bespannung über eine stabile Trägerkonstruktion von Spanten, Holmen, Stringer oder Rippen aufgezogen. Bei der Wellesley ging Konsrutkionsteam allerdings einen grundlegend anderen Weg.
Angelehnt an den von Barnes Neville Wallis entwickelten geodätischen Aufbau, der beim britischen Luftschiffbau erfolgreich eingesetzt worden war, wurde Rumpf und Tragwerk der Wellesley aus einem geodätischen Gitterwerk aufgebaut, die eine effiziente und gewichtsparende, vor allem aber eine unglaublich feste und robuste Struktur ergab.
Bei Vickers war diese Konstruktionsweise übrigens schon bei einem früheren Prototyp eines Doppeldecker Bombers, der Vickers Type 253, verwirklicht worden. Wirklich berühmt sollte das eigenwillige konstruktive Layout jedoch beim Nachfolgemodell der Wellesley werden: die Vickers Wellington bewies im Kriegseinsatz, mit welch unglaublichen Beschädigungen ein Flugzeug mit geodätischem Skelett in die Heimat zurückkehren konnte. Die Muster Vickers Warwick und Windsor setzten diese erfolgreiche Einsatzgeschichte noch um zwei weitere Kapitel fort.
Nebenbei gesagt ist die Namensgebung recht interessant: sie erfolgte bei den beiden Flugzeugen zu Ehren des bekannten Napoleon-Bezwingers und britischen Politikers Arthur Wellesley, First Duke of Wellington.
Die besondere Konstruktionsweise brachte der Wellesley noch eine weitere Eigenwilligkeit ein. Die Bombenlast wurde, da die Konstruktion nur bei durchgehend geschlossener Rumpfform funktionierte, in zwei „Koffern“, die an Streben abgehängt unter den Tragflügeln montiert waren, mitgeführt. Diese geschlossenen und mit Bombenklappen ausgestatten „panniers“ verliehen der Wellesley endgültig ein höchst exzentrisches Aussehen.
Das Muster wurde ab 1935 in insgesamt 176 Exemplaren gebaut und in der Vorkriegs-RAF als leichter Bomber eingesetzt. Bei Kriegsausbruch 1939 galt die Wellesley allerdings als veraltet und sollte für scharfe Einsätze nur mehr gegen die Italiener im Nebenkriegsschauplatz Ostafrika eingesetzt werden. Dort machte die Wellesley nicht zuletzt wegen ihrer Robustheit eine durchaus gute Figur.
Dass an meinem Model sowohl die angesprochenen „panniers“ wie auch der beschriebene unvorteilhafte Anbau des Sternmotors fehlen, geht auf eine besondere Episode in der Geschichte der Wellesley zurück. Zum Modell Wellesley LRDU
Die „Long Range Development Unit“ (LRDU) der Royal Air Force unternahm 1938 mit einigen modifizierten Vickers Wellesleys Mk.I einen Langstreckenrekordflug, der über 11.526 nonstop geflogenen Kilometern vom ägyptischen Ismailia ins australische Darwin führte. Drei von Squadron Leader Richard Kellett geführte Wellesleys bewiesen im November dieses Jahres mit einem erfolgreichen, sich über zwei Tage erstreckenden Weltrekordflug das enorme Reichweitenpotential dieses Musters.
Die Maschinen waren für dieses Unternehmen modifiziert worden: neben dem Ausbau der Bewaffnung und dem Einbau zusätzlicher Tanks wurde auch das Triebwerk gegen einen Bristol Pegasus XXII Antrieb ausgetauscht. Der neue Motor wurde mit einer neuen Verkleidung an die Rumpfkontur aerodynamisch angepasst. Weiters veränderte man die Form des Antennenmasts am Rumpfrücken und montierte eine aerodynamisch verkleidete Peilantenne an die Rumpfunterseite.
Dass die Fliegerei damals noch recht hemdsärmelig und improvisierfreudig betrieben wurde, illustriert eine Geschichte, die ein Besatzungsmitglied der von Flight Lt. Andrew Combe pilotierten Wellesley zum Besten geben konnte. Nachdem nach dem Start zum Rekordflug ein Fahrwerksbein nicht eingezogen werden konnte, schnitt man - während des Fluges! - einen Teil der Rumpfbespannung weg und hakte ein auf einer Stange montiertes Fischernetz in das widerspenstige Fahrwerkgestänge. Damit gelang es, das Fahrwerksbein hochzuziehen und in der Fahrwerksbucht einklinken zu lassen. Der Rekordflug konnte somit erfolgreich fortgesetzt werden. Wahrhaft mutige Zeiten, kann man da nur sagen!
Diese Erzählung habe ich übrigens einer sehr informativen und empfehlenswerten Seite zu diesen Rekordflug entnommen, die für Neugierige unter folgendem Link zu finden ist. Hier erfährt man auch, wie ein auf eine meterlange Stange montiertes Fischernetz in die Wellesley gekommen ist… Zum Bausatz
Mein Modell zeigt genau jene Maschine mit der widerspenstigen Fahrwerkshydraulik. Vickers Wellesley Mk.I LRDU L2680 nahm am 5. Bis 7. November 1938 unter dem Kommando von Flight Lt. Andrew Combe an dem erfolgreichen Weltrekordflug teil.
Der Bausatz stammt von Valom und ist prinzipiell durchaus empfehlenswert. Leider muss ich sagen, dass einige Bausatzteile für die LRDU Version nicht vorhanden sind und nachgebaut werden müssen. Dies bezieht sich vor allem die tropfenförmige Peilrahmenverkleidung und die modifizierte Form des Antennenmastes. Auch die Bauanleitung wies diesmal Schwachstellen in Form fehlender Bauschritte und generell ungenauen Beschreibungen auf.
Insgesamt aber ist dieser Bausatz ein schöner und willkommener Anlass, einem so seltenen und doch so faszinierenden Flugzeug wie der Vickers Wellesley in Form eines Modells die Ehre zu erweisen!
Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates“. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 11. Januar 2021 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |