Boeing 307 StratolinerNX19904 „Flying Penthouse“ von Howard Hughesvon Roland Sachsenhofer (1:72 Bat Project)„Metamorphose“ ist das schöne Wort, um eine weitgehende Umgestaltung oder komplexe Verwandlung zu beschreiben. Wieso ich das hier schreibe? Bei näherer Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte der Boeing 307 Stratoliner ist mir dieser Begriff eingefallen: festgesetzt hat er sich dann richtig, als ich mich mit dem Schicksal der hier im Modell vorgestellten Stratoliner beschäftigt hatte: die Maschine stellt die legendäre Stratoliner NX19904 „Flying Penthouse“ des Multimillionärs Howard Hughes dar. Sie ist heute noch erhalten und in stark verwandelter Form sogar noch im, nun ja, bewegten Einsatz. Ihre Form hat das „fliegende Penthouse“ dabei in einer höchst erstaunlichen und wohl auch nicht mehr umzukehrenden Weise verändert - ich werde darauf noch zurückkommen! Zur Boeing 307 StratolinerInsgesamt sollten nur zehn Exemplare dieses viermotorigen Luxus-Reiseflugzeuges gebaut werden; wobei die treibende Idee dahinter durchaus zukunftsweisend und erfolgsversprechend war. Die Zeit erwies sich als offensichtlich reif, die zivile Passagierfliegerei auf die nächste Ebene zu heben: Mitte der Dreißigerjahre kamen die US-Luftfahrtunternehmen Pan American Airlines, United Airlines, Eastern Airlines und die Transcontinental & Western Airways vertraglich mit der Douglas Aircraft Company überein, in Entwicklung und Bau eines großen viermotorigen Passagierflugzeuges zu investieren. Aus diesem Vorhaben sollte mittelfristig ein erfolgreiches Flugzeug entstehen, das ebenfalls zur Legende werden sollte: die Douglas DC-4. Nachdem sich die Entwicklung dieser Maschine jedoch als unvorhergesehen langwierig und anfänglich problembehaftet erwies, stieg TWA noch im selben Jahr aus dem Kontrakt aus. Dabei motivierte, dass sich für dieses Unternehmen eine neue und verlockende Perspektive aufgetan hatte! Auf Betreiben von Donald Webb Tomlinson, der bei TWA nicht nur als Chef-Testpilot, sondern auch im höheren Management zuhause war, plante man, in ein anderes Projekt zu investieren, das eine schnellere Lösung zu versprechen schien. Tomlinson, schon vor seinem Einstieg bei TWA einer der erfahrensten Höhenflieger, legte neue und durchaus visionäre Vorgaben fest: die neue Maschine sollte stratosphärentauglich sein, um schnell und sicher über dem unberechenbaren Wettergeschehen fliegend ans Ziel gelangen zu können. Dies bedeutete neben dem Einsatz höhentauglicher Motoren vor allem die Entwicklung eines druckfesten Rumpfes. Tomlinsons ehrgeizige Vorgaben bezogen sich auf einen konkreten Hintergrund: zu dieser Zeit war von ihm die neue Boeing XB-17 testgeflogen worden. Auf sein Betreiben hin beauftragte TWA nun Boeing, aus dem zukünftigen viermotorigen Bomber eine Verkehrsmaschine abzuleiten, die in einem druckfesten Rumpf die Passagiere komfortabel auf mindestens 5.000 Metern Höhe zu ihren Zielen bringen würde. Noch im Jahr 1935 entstand so aus dem Boeing Model 299 Flying Fortress das Boeing Modell 307 mit dem wohlverdienten Namen „Stratoliner“. Die Tragflächen, das Leitwerk, Motoren und das Fahrwerk wurden komplett und unverändert von der XB-17 übernommen, nur der Rumpf entstand als zylindrischer Druckkörper neu. Metamorphose I war abgeschlossen: aus dem viermotorigen Bomberentwurf war eine stratosphärentaugliche Passagiermaschine geschlüpft. Mit der Entwicklung des druckdichten Rumpfes betrat man ein potenziell gefährliches Neuland, dementsprechend umsichtig ging man während seiner mehrere Monate andauernden Entwicklung auch vor. Das bedeutet aber nicht, dass man dabei nicht mit recht hemdsärmeligen Mitteln vorgegangen wäre. So darf man sich etwa vorstellen, dass die Druckdichtigkeit ähnlich überprüft wurde, wie man das selbst von der Reparatur eines kaputten Fahrradschlauches kennt: die Boeing-Arbeiter seiften den unter Druck gesetzten schimmernden Alu-Rumpf mit Seifenwasser ein und überprüften sorgfältig, ob sich an Nahtstellen Luftbläschen bilden würden! Der Erstflug der neuen Maschine ging im Dezember 1938 ohne Probleme über die Bühne. Diese erste Boeing 307 mit der Kennung NX19901 verunglückte im März 1939 jedoch auf tragische Weise. Alle zehn Insassen kamen ums Leben, als die Maschine bei Flugversuchen in großer Höhe zuerst ins Trudeln kam und nach dessen noch erfolgreichem Ausleiten infolge der dabei erreichten hohen Geschwindigkeit beide Tragflächen verlor. Die Untersuchung des Unfalls förderte als Ursache eine zu gering bemessene Seitenleitwerksfläche zutage. Eine der nachfolgenden Modifikationen sollte für das Erscheinungsbild der Boeing Stratoliner weitreichende Folgen haben: das neu entworfene vergrößerte Seitenleitwerk wurde nicht nur bei den im Bau befindlichen Stratolinern zum Standard, sondern auch bei den schon vorhandenen beiden Maschinen nachgerüstet. Die Kontur des neuen Leitwerks wurde dabei mit einem eleganten Schwung bis weit nach vorne an den Rumpfrücken herabgezogen. Dieselbe Modifikation führte man auch bei der 1940 neu in Serie gehenden B-17 Flying Fortress der E-Serie ein, was nicht nur der Bomber-Legende zu ihrem bekannten ikonischen Erscheinungsbild verhalf, sondern auch eindrücklich die nahe technische Verwandtschaft der beiden Entwürfe belegt. Nach Abnahme und Indienststellung der Stratoliner gingen vier Flugzeuge an die PanAm, die ebenso wie fünf an die TWA gelieferten Boeing 307 Stratoliner für die folgende kurze Zeit in ihrer ursprünglichen Rolle als luxuriöse Höhenreiseflugzeuge eingesetzt wurden. Der Druckrumpf mit einem Durchmesser von 3,5 m bot dabei 33 Passagieren in einem luxuriös ausgestatteten Ambiente komfortabel Raum. Die Kabinenausstattung beeindruckt auf zeitgenössischen Abbildungen noch heute mit ihrer technischen Raffinesse wie stilistischen Gediegenheit: kein Wunder, war doch Stardesigner Raymond Loewy von der TWA für diese Aufgabe unter Vertrag genommen worden. Die Stratoliner als C-75 in militärischer VerwendungAnlass zur „Metamorphose II“ war der Kriegseintritt der USA: die fünf Stratoliner der TWA wurden für den Kriegseinsatz requiriert: die USAAC/USAAF benötigten für den global geführten Krieg Langstreckentransporter für Fracht und höhergestelltes Personal. Die in militärischer Verwendung als C-75 bezeichneten Stratoliner verloren ihre luxuriöse Bestuhlung, die Waschbereiche sowie auch die akustische Isolierung des Innenraums. Dafür wuchs die Ausstattung an militärischem Funk- und Navigationsgerät, womit die ehemals zivilen Stratoliner auf damaligen militärischen Stand gebracht wurden. Nach drei Jahren intensiver Nutzung wurden die fünf C-75 vom Militär wieder an die TWA verkauft, dort auf die ehemalige zivile Ausstattung zurückgebaut, um danach noch einige Jahre im Langstreckeneinsatz verwendet zu werden. Resümierend kann man jedoch sagen, dass die Kriegsjahre die Boeing 307 darum gebracht hatten, ihr Potential im großen Stil ausspielen zu können. Während des Krieges ging der Bedarf luxuriös ausgestatteter ziviler Flugverbindungen in den Staaten zurück - und nach dem Krieg hatte sich die Welt verwandelt: die Zukunft des aufkommenden Passagierverkehrs sollte dem Passagierjet gehören. Zum Modell: Howard Hughes Stratoliner NX19904Metamorphose III: Wer unter den Lesern mitgezählt hat, wird sich vielleicht fragen, was mit der einen Maschine geschehen war, die übrig bleibt, zieht man die fünf an TWA sowie die vier an PanAm gelieferten Exemplare von der Gesamtzahl der zehn produzierten Stratoliner ab. Hier kommt nun Howard Hughes ins Spiel. Hughes war einer der ersten Abnehmer der Boeing 307: im Juli 1939 kaufte er NX19904, einer der beiden ersten gebauten Stratoliner - und daher auch noch ohne vergrößertem Leitwerk und ohne modifierter Flächenkante - um sie anschließend für eine Rekord-Weltumrundung mit zusätzlichen Tanks ausstatten zu lassen. Hughes wollte damit seine eigene Bestmarke unterbieten: vom 10. bis zum 14. Juli 1938 hatte er den Globus schon einmal in einer Lockheed Electra umrundet, nun sollte in einer etwas luxuriöseren Umgebung ein neuer Rekord erflogen werden. Ende August 1939 stand alles bereit - allerdings konnte selbst ein Howard Hughes die neuen Gegebenheiten, die durch den Überfall Hitlers auf Polen geschaffen worden waren, nicht negieren. Im Anschluss an die abgesagte Weltumrundung ließ Hughes die in Glendale, Kalifornien abgestellte Maschine mit großem Aufwand und unter Einsatz von Unsummen in ein fliegendes Luxusappartement umbauen. Das Endergebnis dieses Design- und Ausstattungsrundumschlags inkludierte unter anderem ein Schlafzimmer, zwei Badezimmer, Galley sowie eine eigen Bar: aus dem Stratoliner NX19904 war so „The Flying Penthouse“ geworden. 1949 entschied sich Hughes, dieses fliegende Juwel loszuwerden: eine aufwändige Renovierung sowie Neuausstattung - wieder unter der Direktive des Designers Raymond Loewy - sollte das ungewöhnliche Einzelstück Öl-Millionär Glenn McCarthy schmackhaft machen. Es kam noch zu einem Neuanstrich und der Umbenennung in „Shamrock“, danach blieben die vereinbarten Zahlungen jedoch aus, so dass die Maschine zurück an Hughes ging. NX19904 blieb nun ungeflogen die nächsten Jahre stehen, bis sie 1965 ein durchziehender Hurricane derart verwüstete, dass die Überreste eigentlich nur mehr als Wrack bezeichnet werden konnten. Für wenig Geld wurde sie in Folge von Kenneth W. London erworben, der für die ehemalige Stratosphärenbezwingerin ganz eigene Vorstellungen hatte: er ließ den von den Tragflächen befreiten Rumpf auf einen Schiffs-Unterboden aufsetzen, um sie als eine Art Hausboot verwenden zu können! Metamorphose IV: Hughes Stratoliner als „Cosmic Muffin“: 1981 erwarb Dave Drimmer das einmalige Konstrukt, um es einerseits als „planeboat“ weiter zu verwenden, anderseits aber auch, um Hughes ehemaligem Stratoliner wieder die inneren Werte und ein wenig der äußeren Würde zurückzugeben. Drimmers in „Cosmic Muffin“ umbenannter Stratoliner-Rumpf zeigt heutzutage wieder eine an die goldenen Zeiten angelehnte gediegene und luxuriöse Ausstattung mit Bett, Lounge und Bar. Das Cockpit dagegen weist sogar noch die ursprüngliche Ausstattung auf. Die heute noch als Hausboot betriebene „Cosmic Muffin“ gilt so neben der im Smithonian, Washington, ausgestellten NX19903 als eines der beiden letzten erhaltenen Exemplare dieses einmaligen Flugzeuges! Ich kann wirklich empfehlen, sich online das einzigartige Aussehen der „Cosmic Muffin“/ Stratoliner NX19904 anzusehen; ich bin mir sicher, dass für Verblüffung und Staunen gesorgt sein wird! Zu Bausatz und BauprozessNicht umsonst kennt man die Redewendung, man solle nicht viele Worte machen, sondern „Bilder sprechen lassen“. Bei der Beschreibung der Bausatzteile und, daraus hervorgehend, des Bauprozesses, möchte ich diesen Gedanken in Anspruch nehmen. Würde ich nämlich beginnen, all die Schwachstellen, Herausforderungen und Zumutungen aufzuzählen, wäre nicht nur viel mit negativer Kritik aufgeladener Text verbraucht, sondern auch nichts gesagt, was nicht auch mit den Baufotos mitgeteilt werden könnte. Um es kurz zu machen: ich empfehle dieses Abenteuer jedem, der sich von der Faszination der Boeing 307 Stratoliner anstecken hat lassen und gerne ein Modell dieses eindrucksvollen Flugzeuges im 72er Maßstab sein Eigen nennen möchte - allerdings nur denjenigen! Einzurechnen ist, dass man mit Zeit, Energie, Einfallsreichtum, Ausdauer und einer durch guter Motivationslage hoch gehaltenen Frustschwelle herangehen sollte. Packungen von Schleifpapier, Mengen von Spachtelmasse und Gebinde von Cyanacrylatkleber waren mir während der relativ langen Bauzeit - ich musste das Vorhaben einmal ein paar Wochen weglegen, um wieder Energie dafür zu sammeln - treue und ständige Begleiter. Damit diese Rückschau aber nicht zu negativ ausklingt, darf ich noch Folgendes sagen: ein zweiter Bausatz liegt schon bereit, um eine weitere Stratoliner als Militärvariante C-75 entstehen zu lassen. Nach den hier angedeuteten Erfahrungen mit Howard Hughes verhindertem Weltumrunder fühle ich mich vorbereitet und auch motiviert, mich einer weiteren Boeing 307 des „Bat-Projects“ zu stellen, denn: summa summarum hat´s Spaß gemacht! Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates". Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Weitere Bilder
Roland Sachsenhofer Publiziert am 15. Februar 2025 © 2001-2025 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |