Tu-22KD(Modelsvit - Nr. 72022)Produktinfo:
Besprechung:Geschichte:Der Erstflug fand schon 1957 unter der Projektbezeichnung Tu-105 statt. Bis zum Tag der sowjetischen Luftfahrtschau am 9. Juli 1961 war westlichen Luftfahrtexperten dieser Flugzeugtyp völlig unbekannt. Schnell war ein NATO-Codename gefunden - Beauty - die Schöne. Später wurde der Name in „Blinder“ geändert. Tatsächlich kann man der Tu-22 eine gewisse aerodynamische Eleganz in der Linienführung nicht absprechen. Ungewöhnlich ist die Anordnung der beiden Triebwerke rechts und links neben dem Seitenleitwerk. Dadurch konnte der stark gepfeilte Tragflügel aerodynamisch „sauber“ gehalten werden. Der Rumpf wurde nach der Flächenregel gestaltet, was eine starke Einschnürung (Wespentaille) im Bereich der Tragflügelanschlüsse zur Folge hat. Die Tu-22 war wohl das letzte Muster, an welchem A.N. Tupolew noch selber Hand angelegt hat. Zur Zeit dieser ersten öffentlichen Vorführungen war die „Blinder“ schon in die sowjetischen Fernflieger- und Marinefliegerkräfte eingegliedert. Sie flog hier als konventioneller Bomber, meist aber als Raketenträger (Tu-22K) mit dem überschallschnellen Lenkflugkörper, NATO- Code Bezeichnung AS-4 „Kitchen“, richtige Bezeichnung, Raduga Ch-22M. Sie diente zur Bekämpfung von radarseitig kontrastreichen Flächenzielen sowie beweglichen Seezielen. Die Variante Tu-22R war ein Aufklärungsflugzeug. Mitte der 1960er Jahre durchliefen viele Maschinen ein Modernisierungsprogramm, wobei alle Flugzeuge mit einer Luftbetankungsanlage ausgerüstet wurden. Daher das „D“ in der Typenbezeichnung, also Tu-22KD. Am Heck ist eine radargesteuerte 23mm Kanone installiert. Die Tu-22 wurde in den Folgejahren mehrfach technisch verbessert. Dies betraf vor allem die elektronische Ausrüstung, speziell für die ELOKA-Einsätze. Weiterhin gab es eine zellenseitig geänderte, spezielle Schulmaschine, die Tu-22U. Es sind etwa 300 Blinder in den unterschiedlichsten Versionen gebaut worden. Die Produktion endete 1970. Etwa 30 Tu-22 ging in den Export nach Libyen und den Irak. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Blinder aus dem Flugbetrieb genommen und durch den Nachfolger Tu-22M ersetzt worden. Die Blinder war kein einfaches Flugzeug. In einem Zeitraum von 1960 bis 1989 verloren die sowjetischen Fernfliegerkräfte 31 Flugzeuge. Interessante Einzelheit bei der Tu-22 ist der Einstieg der dreiköpfigen Besatzung. Alle drei Sitze K-22 fahren nach unten aus dem Rumpf und nachdem die Besatzung Platz genommen hat, geht es wieder nach oben an den Arbeitsplatz. Im Notfall wurde der Sitz auch nach unten ausgeschossen. Intro:Es gibt, Gott sei Dank, immer noch Hersteller von Plastikmodellbausätzen, die einem wirklich Spaß machen und Bausätze kreieren, die ein breites Klientel dankbar annimmt. Ich zähle mich auch dazu. Modelsvit ist so einer und bringt im Jahr mehr Neuerscheinungen, als man letztlich wirklich bereit ist, zu basteln. Was die Jungs aus der Ukraine dabei nicht vernachlässigt haben, ist die Qualität ihrer Bausätze. Das fängt schon bei der Verpackung an und endet bei einer optisch hervorragenden, mehrfarbigen Bauanleitungen. Das einfache deutsche Wort Bauanleitung wird dem mehrseitig gebundenen Heft gar nicht mehr gerecht. Da mir aber im Moment dazu nichts besseres einfällt, bleiben wir dabei. Ja, nun hat es das alte ESCI Modell der Tu-22 erwischt, an dem sich über die Jahre viele Modellfreunde mit mehr oder weniger Erfolg bemüht haben. Das sah zwar aus wie eine Tu-22, hatte aber im Detail viele kleine und größere Fehler. Aber wo sollte man es 1990 auch her wissen? ESCI hatte damals, beim Erscheinen des Bausatzes, wohl nicht mal schlechte Zeichnungen, aber den Vogel in Natura nie gesehen. Folglich klappte die Umsetzung ins Modell nicht wirklich. Genau vor 20 Jahren hatte ich dann mein ESCI- Blinder Modell fertig und, die älteren Modellfreunde erinnern sich, es war der Hingucker auf jeder Ausstellung. Nun schreiben wir 2015 und die Karten sind neu gemischt. Jetzt haben junge Leute in der Ukraine die Dinge in die Hand genommen und ein Modell entwickelt, das unseren heutigen Ansprüchen voll gerecht werden kann. Gehen wir es an. Bausatz:Kompakt und gewichtig liegt er in der Hand, der Hochglanz-Stülpkarton mit einer Abmessung von 34x24x8 cm. Was beim Öffnen dann gleich auffällt, der Karton ist randvoll mit Spritzrahmen vollgepackt. 22 Spritzrahmen, zwei Rumpfhälften und die Tragflächen liegen schon abgetrennt bei. Glaubt man der Beschriftung auf dem Karton, so besteht das Modell aus 320 Teilen. Zählt man nach, kommt man auf 347 Teile. Allein für die Ch-22 mit ihrem Transportwagen sind schon 51 Teile zu verbauen. Ein Modell für sich. Bevor es an die Einzelheiten geht, muss man eines festhalten. Alle Teile sind sauber gespritzt, haben eine glatte Oberfläche, was einer silbernen Farbgebung durchaus dienlich ist, und die feinen Paneellinien passen gut zum Maßstab und zum Modell. Die Baubeschreibung zeigt gleich am Anfang zeichnerisch drei Varianten auf. Eine Tu-22 mit geschlossenem Waffenschacht, die zweite mit einem offenen Waffenschacht, vier Starthilfsraketen und die Ch-22 auf dem Transportwagen davor und die dritte Variante mit der eingehangenen Lenkwaffe und Starthilfsraketen unter den Flächen. Der Zusammenbau beginnt mit dem Cockpit. Die Schleudersitze, drei Stück, bestehen schon aus je 13 Teilen. Explizit ist die Möglichkeit der ausgefahrenen Sitze am Modell nicht vorgesehen. Für die im Bausatz angebotene Variante sind diese aber völlig ausreichend detailliert. Ebenso die Kabine, mit vielen Teilen, aber am fertigen Modell, trotz sehr guter „Glasteile“, nicht mehr viel zu erkennen. Für die Gestaltung der vielen Gerätepaneele liegen Decals bei. Neben dem Doppelcockpit und der Operatorkabine, muss in die vordere Bugsektion dann auch noch der Bugfahrwerksschacht, einschließlich des Fahrwerksbeins, eingebaut werden. Der separate Vorderrumpf lässt die Optionen auf eine Tu-22U Trainervariante zu. Erst nach diesem Bauabschnitt geht es an den Hauptrumpf, mit Spanten, Waffenschacht und Flügelholmen. Was im Gegensatz zum ESCI Modell bei diesem Modell sehr gut umgesetzt wurde, ist die sogenannte Wespentaille, siehe Flächenregel. Den Abschluss nach hinten bildet eine weiter zehnteilige Baugruppe mit der NR-23 Maschinenkanone. Der geduldige Bastler wird hier das Rohr (P25) mit einer passenden Kanüle ersetzen. Weitere Baustufen:In weiteren Bauabschnitten werden die Triebwerke und die Schächte der Hauptfahrwerke zusammengesetzt. Im Inneren sind vereinfacht vorn die Verdichter- und hinten die Turbinenräder dargestellt. Ein Flammenstabilisator und die gewellte Struktur der inneren Schubrohre wurde nicht vergessen. Die Fahrwerksschächte haben innen eine Spanten- und Stringerstruktur, sehen aber sonst recht leer aus. Die fertigen Schubrohre und Einlaufteile werden dann in die beiden Triebwerksschalen eingebaut. Die Strömungskörper für die Hauptfahrwerke werden von unten an die Tragfläche angeklebt. Die Fahrwerksbeine müssen hier noch nicht mit eingebaut werden. Richtig dimensionierte Grenzschichtzäune gibt es separat für die Flügeloberseite. An dem kleinen transparenten Spritzling sind Teile für die Positionsleuchten zu finden. Der Stabilisator und das Seitenleitwerk bestehen aus je zwei Teilen. Dabei ist die Endkante an jeweils einer Seite angegossen. Trotzdem ist die Dicke der Endkanten vielleicht noch bearbeitungswürdig. Wer sich dem 72er Maßstab verschrieben und sich bis hier durch gebastelt hat, der hat schon ein gehöriges Stück Modell auf seinem Tisch. Jetzt geht es nochmal ans Eingemachte, die Hauptfahrwerksbeine mit je zehn Teilen müssen montiert und farblich gestaltet werden. Wer dann noch die Lust verspürt, in Eigeninitiative ein paar Brems- und Stromleitungen anzubringen, der kann sich der Achtung seiner Bastelfreunde sicher sein. Warum die Laufräder aus einem schwarzen Kunststoff gespritzt sind? Keine Ahnung. Die Radkörper- und Felgen sind auf dem ersten Blick korrekt. Was bei der zweiteiligen Ausführung etwas verloren geht, ist das Reifenprofil. Das haben auch schon die Zubehörhersteller erkannt und Abhilfe im Angebot. Eine gute Idee sind auch die vier Starthilfsraketen vom Typ SPRD-63. Davon werden jeweils zwei unter jeder Tragfläche angebaut, ca. 5° von der Längsachse nach außen. Komplettiert wird das Modell abschließend mit den Fahrwerksklappen, dem Notsporn, diversen Antennen, Lufthutzen und den Klappen für den Waffenschacht. Das alles kann man jetzt erst einmal sacken lassen, bevor man sich den Lenkflugkörper mit dem dazugehörigen Transportwagen vornimmt. Ich denke aber, erst in diesem Stadium ist das Modell komplett und lässt sich in einer interessanten Flugplatzszene darstellen. Decals und Bemalung:Darstellen ist auch das Stichwort bei den beiliegenden Decals. Die zwei Bögen sind qualitativ sauber gedruckt. Der kleinere Bogen ist für die Ch-22, mit einer Vielzahl von Wartungs- und Anwenderhinweisen. Bei unserem „Blinder“ Modell kann man unter drei Varianten wählen. Interessant dabei ist, es handelt sich immer um die gleiche Maschine, nur der Zeitraum differenziert dabei. Die rote „63“ flog noch in den 1980er Jahren mit dem Roten Stern der sowjetischen Luftwaffe, beim 341. Schweren Bomber Aviation Regiment (TBAP) in Zhitomyr Ozernoye, Ukraine. Mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1992 übernam die Ukraine dieses Flugzeug und es bekam neue Hoheitszeichen. Heute steht die Maschine in Poltava im Museum für Langstreckenflugzeuge und trägt immer noch die rote “63”. Was neuerdings bei Modelsvit zur Bausatzausstattung gehört, findet man in der Tüte mit den Decals, ein Maskierset zum Abkleben der Scheiben. Die Bauanleitung ist, wie schon erwähnt, vorbildlich und führt sicher durch alle Baustufen. Bei den Farben orientiert man sich weiter und durchaus berechtigt an der Humbrolfarbtabelle. Weitere Bilder
Darstellbare Maschinen:
Stärken:
Schwächen:
Anwendung:
Fazit:Ob ein Modellbausatz mit 347 Kunstoffteilen 60 Euro kosten darf, wird von jedem sicher anders gesehen. Sicher ist, bei Modelsvit hat man das Selbstbewustsein, um für ein sehr gutes Produkt auch einen adäquaten Preis zu verlangen. Allein der Transportwagen mit der Ch-22M kauft man bei Amodel, als eigenes Modell. Was schon auf die Berijew Be-12 zutraf, dieser Bausatz ist gut, er ist das Beste, was man in diesem Maßstab im Moment an "Blinder" bekommen kann. Wem das Thema liegt, genau der richtige Bausatz für lange Winterabende. Die auf 2000 Exemplare limitierte Auflage wird ihre Käuferschaft finden. Diese Besprechung stammt von Bernhard Pethe - 15. Dezember 2015 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |
Modellbauer-Profil Bernhard PetheLand: Beiträge: 47 Dabei seit: 2003 Neuste Artikel:Alle 47 Beiträge von Bernhard Pethe anschauen. Mitglied bei: |