A-90 Orljonokvon Roland Sachsenhofer (1:144 Zvezda)
Das hier vorgestellte geheimnisvolle Fluggerät ist erstaunlich schwer einzuordnen. Zwar fliegt es einige hundert km/h schnell und erinnert in vielen Teilen auch an ein klassisches Flugzeug, andererseits bewegt es sich aber auch mit einer gischt- oder staubaufwirbelnden Dramatik dicht über die unterschiedlichsten Untergründe, wie es sonst nur ein Hovercraft könnte - was es aber ebenfalls eindeutig nicht ist. Sieht man es dagegen auf See mit langsamer Fahrt, drängt sich der Vergleich mit einem Schiff auf. Aber auch hiermit würde man falsch liegen.
Die Geschwindigkeitsbereiche, in denen dieser schiffsgroße Koloss unterwegs ist, hilft ebenfalls nicht, um zu einer Deutung zu kommen, sondern vergrößert das Erstaunen noch: die gewaltige, an die 60 Meter lange Konstruktion brettert mit unglaublichen 400 km/h Spitze über die unterschiedlichsten Untergründe, kann die Fahrt aber auch bis zum Stillstand zurücknehmen, so dass die 140 Tonnen Eigengewicht schlussendlich unter gewaltigem Getöse ins Wasser sinken oder aber an Land auf einem merkwürdig klein scheinenden Landegestell zur Ruhe kommen. Mit den Kategorien Flugzeug, Schiff oder Hovercraft kommt man bei diesem geheimnisvollen Ungetüm also nicht weit, aber es gibt natürlich eine technische Kategorie, für die all die beschriebenen Phänomene typisch sind!
Der kundige Leser wird an dieser Stelle schon längst wissen, dass die A-90 Orljonok ein sogenanntes Bodeneffektfahrzeug ist. Dies ist eine erstaunliche Fahrzeugklasse, die, um es einmal so auszudrücken, die Vorzüge verschiedener Welten in sich vereinen. Groß und voluminös wie ein Schiff, schnell wie ein Flugzeug und weitgehend unabhängig von der Beschaffenheit des Untergrunds wie ein Hovercraft! Das zugrundeliegende Antriebsprinzip ist ein Luftkissen, auf dem der Rumpf über die Wellen reitet. Erzeugt wird dieser während der Fahrt durch die Form von Rumpfboden und der mit den beiden Seitengondeln nach außen sich abschließenden Tragflächen. Die beiden leistungsstarken Turbinen im vorderen Rumpfbereich sorgen nicht nur für Vortrieb: leicht nach unten und somit in den durch Rumpf und Tragflächen gebildeten Hohlraum gerichtet, sorgen sie mit ihrem Abgasstrahl für die Ausbildung des Luftkissens bei langsamer Fahrt. Ob der Untergrund sich dabei nass, trocken oder halbfest zeigt, fällt nicht ins Gewicht, Voraussetzung für die Effizienz des Luftkissens ist allerdings ein einigermaßen ebener Boden.
Diesen findet die A-90 bei ihren geplanten Einsätzen aber ohne Probleme vor: die Orljonok wurde Anfang der 70er Jahre für die Verwendung als schneller Kampfzonentransporter für amphibische Landeoperationen entworfen. Dies erklärt auch den auffallenden Kranz an Gelenken rund um den vorderen Rumpfbereich: die gesamte Bugsektion konnte binnen Minuten um 90 Grad zu Seite geschwenkt werden, um mittels bordeigener Rampen beeindruckende 20 Tonnen militärischer Nutzlast auszuladen. Dazu konnte auch schweres Gerät, wie etwa ein rund 10 Tonnen wiegender Schützenpanzer BTR-60PB zählen.
Seit Ende der 60er Jahre wurde in der UdSSR an der Entwicklung von Bodeneffektfahrzeugen geforscht; mit deren Entwicklung das „Zentrale Konstruktionsbüro für Tragflächenboote“ unter Leitung von Rostislaw Alexejew betraut wurde. Der Erstflug der A-90 fand im Herbst 1972 auf der Wolga statt, für die weitere Erprobung und auch ihre Verwendung verlegte man an die Küsten des kaspischen Meeres. Insgesamt sind fünf Exemplare gebaut worden, durch Unfälle gingen zwei während ihrer Einsatzzeit verloren, während die drei verbliebenen Gefährte erst 1993 außer Dienst gestellt wurden. Zwei dieser beeindruckenden Riesen - der Prototyp S-23 und die S-26 - sind als Museumsschiffe erhalten. Die hier dargestellte S-21 (MDE-150) mit dem markanten Emblem am Rumpf ist allerdings schon am 3. November 1979 in einem Sturm gekentert und gesunken.
Das russische Wort „Orljonok“ bedeutet übrigens „junger Adler“, was die großformatige Darstellung an den Flanken der A-90 /S-21 erklärt. Nun könnte man aber vermuten, dass bei einem „jungen Adler“ womöglich auch ein Elterntier existiert - und tatsächlich: die A-90 war nicht das einzige Ekranoplan, an dem man in der Sowjetunion zu dieser Zeit geforscht und das man in kleiner Stückzahl tatsächlich in Erprobung hatte! War die A-90 als amphibischer Landungs-Transporter konzipiert, brachte man mit den Fahrzeugen der Lun-Klasse ein Bodeneffektfahrzeug zur Einsatzreife, das für die Bekämpfung feindlicher Schiffsverbände ausgerüstet war. Kann die A-90 noch eine gewisse formale Eleganz für sich in Anspruch nehmen, beeindruckten die Vertreter der über 70 Meter langen Lun-Klasse eher durch ihre monströse Gestalt, die sie noch mehr als Hybrid zwischen Schiff, Flugzeug und, nun ja, einem Produkt aus dem Science Fiction-Universum erscheinen lässt. Aus gutem Grund sollten sie als „Kaspische Seemonster“ bekannt werden! Zu Bausatz und Bauprozess
Bevor ich erkläre, wieso ich mit diesem einen Modell gleich zwei Artikel bestücken möchte, eine kurze Geschichte, wie aus einem Ärgernis etwas Gutes werden kann: der Anlass zur Verwirklichung dieser Orljonok war ein Bauauftrag. Nachdem mir das Thema gut gefallen hatte, plante ich, ein zweites Exemplar für mich parallel mitzubauen. Da diese Bausätze - sowohl die Originale von Zvezda wie die Ausgaben von Revell - derzeit schwer zu finden sind, war ich sehr froh, über einen Nachlassverkauf doch noch zu einem zweiten Bausatz gekommen zu sein. Auf die Freude folgte jedoch bald die Erkenntnis, dass der eben erworbene Bausatz leider unvollständig war: wesentlich Teile - etwa eine ganze Rumpfhälfte - fehlten.
Im Sinnieren darüber, wie aus dieser Situation das Beste zu machen sei, habe ich den Entschluss gefasst, die beeindruckende A-90 Orljonok mit dem einen realisierbaren Modell möglichst beeindruckend zweimal in Szene zu setzen! Einmal sollte das fertiggestellte Modell auf dem eigenen Fahrwerk stehend gezeigt werden können, zum anderen würde ich einzelne Bauteile des zweiten Bausatzes verwenden, um das Ekranoplan fliegend dazustellen. Der Plan war, das Modell so zu modifizieren, dass der neue Besitzer jederzeit zwischen beiden Zustände wechseln kann.
Eine Beschreibung, wie ich dies gemacht habe und wie der Bau von der Hand gegangen ist, wird bald in einem zweiten Teil zu diesem Modellprojekt zu lesen sein! Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofder@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 17. August 2024 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |