ZIS-5von Thomas Hannecke (1:35 Dragon)Es ist schon faszinierend zu sehen, dass die Sowjetunion nach der Revolution auf der einen Seite eine eigenständige Flugzeugindustrie mit einheimischen Mustern auf die Beine stellte, gleichzeitig aber, von Ausnahmen abgesehen, bis nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu ausschließlich LKWs baute, die auf ausländischen Fahrzeugen basierten. Der ZIS-5 ist hierfür ein gutes Beispiel. Zum VorbildBis Ende der 1920er Jahre bestand der sowjetische Fuhrpark hauptsächlich aus AMO-F/15 Lastkraftwagen, ein Lizenzbau des italienischen Fiat F-15. 1931 wurde die in Moskau beheimatete Firma AMO (Avtomobilnoe Moskovskoe Obshchestvo) mit Hilfe der amerikanischen A.J. Brandt Cooperation ausgebaut, neu organisiert und ausgestattet. Ab diesem Zeitpunkt produzierte das Werk den moderneren AMO-2. Dieser leitete sich vom Modell SD der amerikanischen Automobilfirma Autocar Company ab, einem Zweitonner mit Sechszylinder-Motor. Die dort verwendete Hinterachse wurde durch eine stärkere Timken-Achse ersetzt, wodurch die Nutzlast auf 2,5 Tonnen anstieg. Aber der Ärger war vorprogrammiert. Der Produktionsbeginn des AMO-2 in Russland war holprig. Zuerst wurden alle Bauteile (mit Ausnahme der Kabine und der Frachtpritsche, die lokal produziert wurden) von Autocar geliefert. Autocar selbst war ein typisches Montagewerk, dass selbst keine Komponenten baute. Alles, Motor, Rahmen, Getriebe, Kupplungen usw., wurde von Zulieferern bezogen. Daran waren russische Firmen nicht gewöhnt, auch nicht daran, dass sich die Bauteile unterschiedlicher Batches oft signifikant voneinander unterschieden. Als weiteres Hindernis stellte sich heraus, dass die Fertigung aufgenommen wurde, ohne das Fahrzeug gründlich unter lokalen Bedingungen erprobt zu haben. So sank durch den Einbau der Timken-Achse die Bodenfreiheit unter dem Kurbelgehäuse auf gerade noch 26 Zentimeter. Ferner musste durch die neue Achse die Kraftübertragung und das Bremssystem geändert werden, so dass der LKW schließlich zwei verschiedene Bremsanlagen hatte: eine hydraulische für die Vorderräder und eine mechanische für die Hinterräder. Nach und nach konnten die Kinderkrankheiten jedoch ausgebügelt werden, und das Folgemodell AMO-3 bestand nur noch aus in Russland gefertigten Teilen. Zwei Jahre später wurde der Betrieb erneut erweitert und zu Ehren Stalins in Werk No. 2 Zavod Imeni Stalina (abgekürzt ZIS) umbenannt. Von da an wurde das neue Modell ZIS-5 produziert. Die Nutzlast stieg von 2,5 auf 3 Tonnen, es wurde ein stärkerer Motor eingebaut und ein größerer Treibstofftank, um dessen höheren Verbrauch zu kompensieren. Zusammen mit dem GAZ-AA (basierend auf Ford-Technologie) entwickelte sich der ZIS-5 dank seiner robusten Konstruktion und seiner einfachen Wartung schnell zum zivilen und militärischen Arbeitspferd Russlands. Die Gesamtproduktion aller Varianten, einschließlich der kriegsbedingt in den Werken in Ulyanovsk und Miass gebauten Fahrzeuge belief sich, je nach Quelle, zwischen 550.000 und über eine Million. Im Moskauer Hauptwerk wurde der LKW bis 1948 gebaut, die Produktion der letzten Variante, dem Ural ZIS-355 (oder ZIS-355) mit neuem Motor und ovalen Kotflügeln, startete in Ulyanovsk erst 1955! EinsatzNeben seiner Verwendung in allen erdenklichen zivilen Bereichen wurde der ZIS-5 auch von der Roten Armee eingesetzt, zum Transport von Fracht, von Soldaten (bis zu 25 auf fünf Bankreihen), als leichte Artilleriezugmaschine, Tankwagen, mobile Feldwerkstätte oder als Ambulanzfahrzeug. Selbst nachdem unter dem Lend and Lease-Programm immer mehr US-Trucks nach Russland strömten, blieb der ZIS-5 weiterhin im Fronteinsatz. Nach dem Krieg blieb das Fahrzeug bis in die 60iger Jahre im Bestand von Reserveeinheiten, und es gehen Gerüchte, dass selbst heute noch einzelne Exemplare von zivilen Eignern in entlegenen Teilen Sibiriens und Afghanistans zu sehen sind. Mein ModellDer 1:35 Bausatz Russian ZIS-5 Truck stammt offiziell von Dragon, entstand aber ganz offensichtlich in Zusammenarbeit mit Alan, deren Name auch auf den Spritzbäumen immer wieder auftaucht. Die Detailtreue ist beeindruckend, vor allem im Bereich des Fahrgestells. Die zum Teil hauchdünnen Teile sind dank des recht weichen Kunststoffs recht gut auch ohne Bruch aus dem Spritzbaum zu entfernen. Der Zusammenbau speziell des Fahrgestells erfordert aber durch den recht beengten zur Verfügung stehenden Raum Fingerspitzengefühl. Die Gussqualität ist seltsamerweise von Baum zu Baum unterschiedlich, von sehr gut bis bescheiden (Fischhäute). Die Bauanleitung lässt Spielraum zu Interpretation, etwas mehr Deutlichkeit hätte hier nicht geschadet. Die Passgenauigkeit ist, von der Motorhaube und der Fahrerkabine abgesehen, gut. Das dargestellte Fahrzeug war ursprünglich bei der Müllabfuhr in Moskau eingesetzt und wurde dann kriegsbedingt eingezogen. Daher die ungewöhnliche Lackierung, die aber der Tarnlackierung der roten Armee an der Südfront (Ukraine) ähnelt, ein Farbtupfer zwischen meinen vielen grünen Fahrzeugmodellen. FazitKein Wochenendprojekt, und auch sicher für einen Anfänger ungeeignet. Wer aber die nötige Geduld aufbringt und nicht davor scheut, sich in den Bauplan einzuarbeiten, wird mit einem wirklich schönen Modell belohnt. Thomas Hannecke Publiziert am 15. März 2023 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |