Messerschmitt Me 321 Gigantvon Roland Sachsenhofer (1:72 Italeri)
Wie um ihre Namensgeber, die Giganten der klassischen Mythologie, ranken sich auch um die Messerschmitt Me 321 „Gigant“ zahlreiche Mythen und Erzählungen. Im Unterschied zur Mythologie sind hier die Fakten aber überprüfbar, erstaunlich genug bleiben sie aber! Zur Me-321 „Gigant“
Erstaunlich ist etwa schon die Entstehungsgeschichte: der Entschluss zur Produktion eines Großraum-Lastensegler von bisher noch nicht erreichten Dimensionen wurde vor dem Hintergrund der geplanten Invasion Großbritanniens gefasst. Die überraschenden Erfolge bisheriger Lastensegler-Einsätze, die in schnellen Kommandoaktionen den Gegner überraschen und sorgsam gehütete Verteidigungsstrategien obsolet machen konnten, brachten dem Konzept des Großraum-Lastenseglers auch für die geplante Invasion Auftrieb und Unterstützung.
Der zukünftige Lastensegler sollte dabei für den Transport schwerster Fracht geeignet sein. Die Ausschreibung sah eine Ladekapazität von über 20 Tonnen vor, was die Möglichkeit zur Anlandung von 200 vollausgerüsteten Infanteristen oder etwa des Transportes eines Panzerkampfwagens IV bedeuten würde.
Zwei Konstruktionsbüros wurde die Verwirklichung dieser gigantischen Pläne zugetraut: bei Junkers sowie bei Messerschmitt liefen die Entwurfsarbeiten mit Hochdruck ab Sommer 1940 an. Nach einer erstaunlich kurzen Entwicklungszeit von rund drei Monaten wurden beinahe zeitgleich zwei konkurrierende Prototypen präsentiert. Am 25. Februar hob die Me 321 Gigant zum ersten Mal ab, während der Erstflug der Junkers Ju-322 „Mammut“ nur wenige Tage später, am 12. März, erfolgte.
Der Junkers-Entwurf hatte von Anfang mit großen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die schlussendlich in einem fatalen Absturz des einzigen fertiggestellten Prototypen ihren traurigen Höhepunkt fanden. Nachdem „Operation Seelöwe“ zu diesem Zeitpunkt schon endgültig vom Tisch war und sich der Entwurf von Messerschmitt zu bewähren schien, wurden die weitere Arbeit an der Ju-233 „Mammut“ bald darauf eingestellt.
Die Me 321 dagegen schien tatsächlich unter einem glücklicheren Stern zu stehen: dem Erstflug schlossen sich weitere Erprobungsflüge an, bei dem sich auch die fliegerische Prominenz zeigte. So ist bekannt, dass neben dem bewährten Messerschmitt-Testpiloten Karl Baur auch Hanna Reitsch die beeindruckende „Gigant“ erprobte.
Die Dimensionen dieses weltgrößten Lastenseglers wussten – und wissen - zu beeindrucken. Für einen Segler typisch sind die Proportionsverhältnisse von Länge zu Spannweite: ein 28,15 Meter langer Rumpf steht hier den 55 Metern von Tragflächenspitze zu Tragflächensitze entgegen. Die Flügelfläche beträgt 300 Quadratmeter. Leer wog ein „Gigant“ rund 12.000 Kilo, die maximale Zuladung bemaß sich auf 23 Tonnen. Übrigens war der Laderaum so berechnet, dass jede Fracht, die auf einen Standard-Niederflurwagen der Reichsbahn passte, auch geladen werden konnte.
Interessant sind auch die Geschwindigkeiten, mit denen die Me 321 geflogen worden ist. Geschleppt wurde mit etwa 230 km/h, die Landegeschwindigkeit beträgt dagegen nur 115 km/h. Die Sinkrate von 7,25 Meter/Sekunde war mit einer Gleitzahl von etwa 1:16 verbunden.
Zum Umfeld der Me 321 Infrastruktur zählte auch eine sehenswert modifizierte DFS 230. Um zukünftige „Giganten“-Piloten an die Cockpithöhe von rund fünf Metern zu gewöhnen, wurde der kleine Lastensegler mit Fahrwerks-Stelzen ausgestattet, die den Rumpf in buchstäblich „gigantische“ Höhen anhoben. Wer mit dem Anblick dieser speziellen DFS 230 nicht vertraut ist, sollte sich Bilder dieses Trainers unbedingt einmal ansehen!
Während die ersten Me 321 der A-Serie noch von einem einzelnen Piloten gesteuert worden ist, waren für die Produktionsmaschinen der B-Serie zwei nebeneinander sitzende Piloten sowie ein drittes Besatzungsmitglied vorgesehen.
Für den Nutzen von Lastenseglern ist die Verfügbarkeit von Schleppmaschinen ein entscheidender Punkt. Im Fall der „Gigant“ sollte sich hier bald eine Achillesferse abzeichnen. Die Motorleistung verfügbarer Flugzeuge reichte einfach nicht aus, eine vollgeladene Me 321 in die Luft zu bringen. Zur Erprobung konnte noch die Ju 90 als Schleppmaschine genutzt werden, ein einsatzfähiges Duo würde daraus jedoch nicht werden können. Allerdings: Not macht erfinderisch. Um die notwendige Leistung vor eine Me 321 zu bringen, ersann man die Idee, drei Bf 110 zu einem „Troika“-Schlepp zusammen zu koppeln. Führt man sich die Schwierigkeiten und Herausforderungen vor Augen, mit denen schon bei einem einfachen Schleppstart zu rechnen ist, erscheint der Wagemut dieses Ansatzes als geradezu gefährlich tollkühn. Die Praxis sollte leider auch zeigen, wie gefährlich dieses Schleppverfahren war. Laufend kam es bei dem „Troika“-Verfahren zu schweren Unfällen, die meist mit dem Tod der beteiligten Bf 110-Besatzungen endeten.
Um dieser im Grunde unhaltbaren Praxis Herr zu werden und die Kapazitäten der Gigant wirklich nutzen zu können, wurde eine weitere tollkühn erscheinende Idee in die Praxis umgesetzt. Ab 1941/42 standen insgesamt elf He 111Z Schleppmaschinen zur Verfügung. Diese „Zwilling“ aus zwei über ein neu entworfenes Tragflächenmittelstück zusammen montierten He 111 H-6-Rümpfen, deren fünf Junkers Jumo 211 Motoren mit einer Gesamtleistung von 6.700 PS es tatsächlich schafften, eine Me 321 Gigant sicher in die Luft zu bringen.
Ein weiteres Hilfsmittel wurde in Form der Montage von zwei bis maximal acht unter den Tragflächen montierten Walther Starthilfe-Raketen gefunden. Diese entwickelten während ihrer Brenndauer von einer halben Minute 500 kp Schub, danach wurden sie abgeworfen. Die an ihrem Bug montierten Fallschirme erlaubte ein Bergen und Wiederverwenden dieser Starthilfen.
Abgeworfen wurden auch das massive Hauptfahrwerk sowie die beiden unter den vorderen Landekufen montierten Bugräder. Die Landung erfolgte dann ausschließlich auf den vier gefederten Kufen, deren Nutzen auch in der Verkürzung des Landewegs lag.
Zu Anfang des Krieges gegen die Sowjetunion standen vier Transportstaffeln mit je sechs Lastenseglern bereit. Die Produktion der Me 321 war kurz davor zugunsten der motorisierten Variante Me 323 eingestellt worden. Von Beginn des Russland-Feldzuges an wurden die Me 321 Einheiten für Versorgungsflüge eingesetzt. In der Praxis erwies sich jedoch der Mangel an geeigneten Schleppflugzeugen als starkes Manko. Die Situation verbesserte sich, wie schon angesprochen, erst mit dem Erscheinen der He 111Z ab Anfang 1943.
Trotzdem waren die Tage des Großraumseglers gezählt. 1943 wurden die verbleibenden Me 321 in ihrer Rolle als Schwerlasttransporter noch genutzt, im Dezember löste man die schweren Gleiter-Einheiten jedoch endgültig auf. Die wenigen verbleibenden Maschinen wurden an der Ostfront in „one way missions“ für Versorgungsflüge eingeschlossener Truppenteile aufgebraucht.
Mein Modell zeigt eine 1941/42 im Südabschnitt der „Ostfront“ eingesetzte Me 321B; die Markierungen dafür stammen aus dem Bausatz. Zu Bausatz und Bauprozess
Der 1976 bei „Italaerei“ erstmals aufgelegte Bausatz zeigt auch heute noch Charme: die Einzelteile scheinen die Formen des Vorbildes maßhaltig und glaubhaft wiederzugeben, übertreiben es dabei aber mit Details oder gar chronischer „Nietenzählerei“ nicht. Die wegen der Dimension mancher Teile groß ausfallende Schachtel erscheint so auf den ersten Blick spärlich gefüllt.
Der Bau selbst geht dementsprechend schnell von der Hand und stellt den Modellbauer vor keine ernsthaften Herausforderungen. Einzig die in manchen Punkten unklar bleibende Bauanleitung kann zu Verzögerungen führen. So wird etwa die Position der Starthilferaketen oder auch der Landekufen/des Fahrwerks nicht ausreichend genau angegeben. Erst bei genauester Untersuchung der Bauteile finden sich zarte Markierungen. Mein Rat: hier darauf achten, diese unscheinbaren Markierungen nicht beim vorhergehenden Verschleifen der Bauteile nicht gänzlich zum Verschwinden zu bringen! Insgesamt ist zu sagen, dass eine genaue und angemessen ausführliche Vorbildrecherche bei diesem Modell ein unbedingtes Gebot ist. Vieles wie etwa die tatsächliche Gestaltung der Raketenaufhängung oder die Form Walther Starthilferaketen sind für heutige Erwartungen viel zu ungenau ausgeführt oder schlichtweg falsch.
Einen besonderen Aufwand habe ich bei der Rekonstruktion der schon mehrfach angesprochenen Walther-Raketen getrieben, da sie doch ein recht charakteristisches Merkmal darstellen und am Modell auch recht gut ins Auge fallen. Die Italeri-Bauteile – je zwei schlichte eiförmige Halbschalen - bilden den Kern meiner Verbesserungsversuche. Diese habe ich zum einen mit Bohrungen verschiedener Größe versehen sowie mit einem zugerichteten Tamiya-Band gleichsam umgürtet. Lackiert wurde das Ganze dann mit unterschiedlichen Alclad-Metalltönen. Der Fallschirm bekam ebenfalls ein paar Details mit Material aus der Ätzteil-Restekiste sowie ebenfalls mit modifiziertem Tamiya-Band. Den Abschluss bildete je ein Stropp, das, an Fallschirmpaket sowie an einer Strebe befestigt, im Original beim Abwurf den Fallschirm öffnen würde. Dieses konnte ich mit zusammengedrehtem Kupferdraht darstellen.
Ein paar Verfeinerungen wurden weiters noch mit in Form neuer MG 181 von Gaspatch sowie Verkabelungen und Verstrebung am Fahrwerk wie im Innenraum vorgenommen. Das Cockpit profitierte ebenfalls von Reste-Ätzteilen sowie Sitzgurten von Eduard.
Schon bei Baubeginn hatte ich mir vorgenommen, die Größe und das Volumen der „Gigant“ mit einer Beigabe in Form eines eingeladenen Fahrzeuges zu illustrieren. An Vorbildfotos orientierend wurde dafür ein Sd.Kfz. 9 “Famo“ von Revell ausgewählt. Damit scheine ich einen guten Griff gemacht zu haben, da sich dieser modellbauerische Nebenschauplatz schnell zu einer Quelle neuer Erfahrungen und erfreulicher Ergebnisse gemausert hat. Wer sich für Bausatz und Bauprozess des „Famo“ interessiert, den darf ich über diesen Link auf den entsprechenden Modellversium-Artikel verweisen. Abschließend darf ich sagen, dass die Bezeichnung „Gigant“ für die Me 321 auch aus modellbauerischer Perspektive gut gewählt scheint. „Gigantisch“ sind auf jeden Fall einmal die Maße des fertiggestellten Modells: die Me 321 überragt selbst den bisherigen Rekordhalter in meiner Vitrine, eine YB-35. Groß waren aber auch der Erkenntnisgewinn sowie die Erfahrungen, mit einem derartig ausufernden Modell am Werktisch zu arbeiten sowie ein Räderfahrzeug mit diesem Flugzeugmodell eng abgestimmt zu haben. Last but not least: groß ist natürlich auch die Freude, diesen Riesen aus dem Reich der Mythen in die Realität der Modellbauvitrine geholt zu haben! Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates“. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at
Roland Sachsenhofer Publiziert am 30. Juli 2021 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |