Die Überlandbahn Ste.-Marie-sur-Mer – St. Lô... der russische "Makrelenexpress" in der Normandievon Thomas Ehrensperger (1:35 MiniArt)Straßenbahnmodelle und ihre Vorbilder
Miniart begann 2013 Straßenbahnbausätze aufzulegen, zuerst europäische (Miniart # 38001), dann 2014 eine deutsche (Miniart # 38003), einem Vorbild aus Nürnberg nachgebildet. 2016 folgte dann dasselbe Modell (#38009) mit belgischen und deutschen Beschriftungen, allerdings mit Zubehör aus dem Umfeld des Straßenbahnbetriebs sowie Betriebspersonal und Fahrgästen aufgewertet (Anmerkung 1).
2019 folgten dann auch Modelle nach Vorbild der sowjetischen Serie X (Miniart # 38020) – in der Transkription Ch nach dem ersten Einsatzort Charkow (heute: Charkiw). Damit standen der Modellbaugemeinde ansprechende wie anspruchsvolle, recht detaillierte zivile Bastelobjekte zur Verfügung, die aber auch in den vergangenen Jahren gerne für städtische Weltkriegsdioramen verwendet wurden. Nun ist für 2025 von Miniart ein „Big Set: Kharkiv 1943“ unter der Nummer 36067 angekündigt, das neben einer Tram X, ein StuG III G mit aufgesessenen Soldaten und Material zur Ausgestaltung eines Dioramas enthalten soll.
Die meisten der zweiachsigen Straßenbahnen der Serie X fuhren in russischen Metropolen von Leningrad bis Wladiwostok, aber auch in ukrainischen Städten der damaligen UdSSR waren die Trams weit verbreitet. Außerdem wurde der Typ vereinzelt auch in Metropolen anderer Sowjetrepubliken eingesetzt: Armenien, Georgien, Kasachstan – um einige zu nennen. Etwa 2000 Exemplare der zweiachsigen Straßenbahn wurden gebaut, von 1928 bis 1972 in verschiedenen Spurweiten eingesetzt. Als Modell erschien schließlich 2020 eine Cargo-Version der Serie X (Miniart # 38030), mit der nach sowjetischem Vorbild verschiedene Arbeits-, Notfall- und Gütertriebwagen – in sechs Farb- und Beschriftungsvarianten – gebaut werden konnten (Anmerkung 2). Das fiktive Vorbild
Auf der Suche nach Motiven, die sich für mein normannisches Bastelvorhaben umsetzen ließen, stieß ich auch auf französische Tramways, sogar auf elektrische. So fuhr die Tramway de Caen seit 1901 elektrisch, bis sie 1937 stillgelegt wurde, um dem Omnibus Platz zu machen. Auch weitere, zwar Dampf betriebene Tramways gab es in der Normandie, z.B. in Avranche oder in Granville, was durchaus in der Nähe des fiktiven Ste.-Marie-sur-Mer liegt. Man ahnt es schon … Ste.-Marie bekommt eine elektrische Überlandbahn, die vom Hafen über das Städtchen ins Hinterland führt und in St. Lô endet. Einen Makrelen-Express. Warum nicht?
Zu klären war nur noch, wie eine sowjetische Tram halbwegs glaubhaft nach Frankreich gekommen sein könnte? Die Serie X wurde nämlich meines Wissens nicht exportiert. Fündig wurde ich doch noch: Der französisch–sowjetische Beistandspakt von 1935, der im Hinblick auf die Entwicklungen im damaligen Deutschen Reich geschlossen wurde. Und da man auch von flankierenden Außenhandelsmaßnahmen ausgehen darf, hätte vielleicht auch eine ausgediente Tram ihren Weg von der Sowjetunion nach Frankreich finden können. Ein ausgemustertes Exemplar, ein Einzelstück, billig erworben, als Arbeitstriebwagen immer noch einsetzbar. Nicht real, aber denkbar. Eine Tram Travaux. Pourquoi pas? Das ModellDer Bausatz kam in einem großen Karton daher, 32 Spritzlingsrahmen und jede Menge Einzelteile, was einem dann schon Respekt einflößt. Auch Oberleitungsmaste sowie ein Stück Pflasterstraße mit im Straßenplanum eingelassenen Gleisen liegen bei, das sich allerdings schon unter den 170 Gramm der beladenen Tram durchbiegt, so dass sich ein Unterfüttern des Tiefziehteiles unbedingt empfiehlt. Das Trammodell ließ sich dann gut bauen, vorausgesetzt, man stört sich weder am Heraustrennen der vielen, teils recht filigranen Teile (z.B. des Lyrabügels), noch am Versäubern derselben. Belohnt wird man aber dadurch, dass man schnell sieht, was für ein einzigartiges Modell entsteht. Ein interessantes Detail ist z.B. die offene Ladefläche mit den verbeulten Bordwänden.
Der sehr umfangreiche Decalbogen musste allerdings leider weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die sechs kyrillischen Beschriftungsvarianten konnten naturgemäß nicht genutzt werden, stattdessen entstand ein am PC selbst erstelltes Schild Travaux und eine Nummer. Schon zur Beschriftung und dem städtischen Wappen hat es nicht mehr gereicht: Provisorien eben … In verschmutztem blau-cremefarbenem Anstrich, beladen mit zwei Kabeltrommeln und einer mit einer Plane bedeckten Holzkiste (Holzklötzchen mit gebrauchtem Brillenpapier abgedeckt) steht die Straßenbahn im Depot, zur Ausfahrt bereit. Die Trambahnfahrerin entstammt dem Miniart-Figurenbausatz # 38007 und ist dort als Fahrkartenkontrolleurin mit „Galoppwechsler“ vorgesehen. Allerdings bekam sie für ihre neue Aufgabe andere Arme und der Kopf wurde auf die vor ihr liegende Strecke blickend gerichtet. Der beiliegende Straßenbahnfahrer kam nicht in Frage, der sah mir doch zu sehr nach Charlottenburg aus.
Das einzig wirkliche Problem beim Bau war das bananenförmig gebogene Dach der Tram, was ich leider zu spät bemerkte, um noch vor dem Verkleben das Teil richten zu können. Ein zweiteiliges Dach überstieg offenbar meine modellbauerischen Möglichkeiten … ein Spalt klaffte; entweder auffüttern oder mit sanfter Gewalt auf die Seitenwände des Modells in Form zwingen. Davor scheute ich zurück und entschied mich fürs Auffüttern. Für alle, denen der Artikel Lust auf einen Eigenbau macht, würde ich den Tipp geben: Klebt die beiden Dachteile separat auf, dann kann man leichter spachteln und schleifen. Dachaufbauten und Lyrabügel kämen dann erst danach. Das Diorama
Die angedachte Szene ist ein Depot, in dem die Tram auf einem der beiden Gleisstumpen steht. Das Modell wird U-förmig von Kulissen umgeben: von der Außenwand einer Art Maschinenhalle oder Werkstatt, dem Eingangstor der Fahrzeughalle und zwei kleinen Nebengebäuden. Vieles ist provisorisch oder noch nicht vorhanden, da das Projekt erst langsam wächst und ich nicht durch vorschnelles Fixieren später wieder etwas abreißen möchte, sollten Änderungen erforderlich werden. Anmerkungen
Thomas Ehrensperger Publiziert am 26. März 2025 © 2001-2025 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |