Japanisches Tiefseebohrforschungsschiff Chikyuvon Lars Scharff (1:700 Bandai)Das OriginalFür die Geologie stellten die Meere lange Zeit eine Barriere dar. Erst mit dem 1968 in Dienst gestellten Bohrschiff Glomar Challenger und dessen Ersatz, der seit 1985 genutzten JOIDES Resolution, konnten die Schichten unterhalb des Meeresbodens erforscht werden. 2001-05 wurde in Nagasaki, Japan, mit der Chikyu ein weiteres Bohrschiff für die Grundlagenforschung gebaut. Sie wird vom japanischen Centre for Deep Earth Research, einem Teil der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC), in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Amerika, Asien und Europa als Teil des Integrated Ocean Drilling Program (IODP) betrieben. Mit den Gesteinsproben, die von den Bohrschiffen aus großer Tiefe geholt werden, wird u.a. die Geschichte der tektonischen Platten und des Klimas erforscht. Außerdem wird auch nach Lebensformen in großer Tiefe gesucht. Mit der Chikyu verfügt die Wissenschaft über ein Bohrschiff auf dem neuesten Stand der Technik. Sie wird über dem Bohrloch mittels Satellitennavigation (GPS) und sechs Propellergondeln (Pod-Antrieb) auf Position gehalten und ist dafür ausgelegt, in Meerestiefen von bis zu 2500 m zu bohren. Das Bohrgestänge kann bis zu 10 000 m lang sein. Die Chikyu verfügt über ein spezielles Bohrsystem, bei dem der Abraum mittels künstlichen Schlamms durch die Ummantelung des Bohrgestänges nach oben zum Schiff gepumpt wird (drilling riser). Durch den eingepumpten Schlamm (statt dem früher genutzten Seewasser) ist das Bohrloch auch bei hohem Druck in großen Tiefen stabil, so dass größere Tiefen erreicht werden können. Die Proben (Bohrkerne) können schon an Bord in verschiedenen geologischen und biologischen Laboratorien untersucht und konserviert werden. Chikyu ist 210 lang, 38 m breit und mehr als 130 m hoch (130 m vom Schiffsboden bis zum Hebewerk oben am Bohrturm). Die Verdrängung beträgt 56 752 t. Der Antrieb erfolgt über sechs Propellergondeln, deren Elektromotoren je 5710 PS leisten. Drei davon sind am Bug, drei am Heck positioniert. Damit werden bis zu 12 kn erreicht. Das Schiff verfügt über 47 587 PS starke Diesel-Generatoren zur Stromerzeugung für den Antrieb des Schiffs, des Bohrgestänges etc. Die Besatzung kann bis zu 200 Personen umfassen. Chikyu wurde 2001-05 von Mitsui Engineering & Shipbuilding in Nagasaki gebaut und von Mitsubishi Heavy Industries ausgerüstet. Seit 2006 wird sie für diverse wissenschaftliche Bohrungen eingesetzt. Am 11. März 2011 wurde sie durch den Tōhoku-Tsunami beschädigt. Die Reparaturen wurden im Juni 2011 abgeschlossen. Am 27. April 2012 erzielte sie einen Weltrekord, als es ihr gelang auf 7740 m unter dem Meeresboden zu bohren. Das ModellModelle von Forschungsschiffen und Spezialschiffen sind bisher selten, was jede Neuheit in diesem Bereich umso bemerkenswerter macht. Recht überraschend war, dass Bandai, bisher noch nicht für 1:700-Schiffsbausätze bekannt, in der Serie Exploring Lab das moderne japanische Bohrschiff Chikyu in einem beliebten Standardmaßstab herausgebracht hat. Noch mehr überrascht war ich, als ich den Inhalt des Bausatzes sah. Neben den beiden Rumpfteilen sind 14 Spritzlinge enthalten, so dass der Umfang des Bausatzes durchaus dem komplexen Vorbild gerecht wird. Wie bei alten Matchbox-Bausätzen sind die Teile in verschiedenen Farben gespritzt. Dazu liegen Aufkleber (nicht Abziehbilder!) für einzelne Decks der Aufbauten sowie den Wasserpass bei, so dass das Modell auch ohne Bemalung dem Original zumindest ähnlich sieht. Der Bausatz ist als Steckbausatz ausgelegt, so dass das Modell auch von Anfängern gebaut werden kann. Aber auch für erfahrene Modellbauer stellt der Bausatz eine gute Grundlage dar. Leider hat sich bisher keiner der Zubehörhersteller dem Bausatz angenommen, so dass man hier auf Eigenbau bzw. die Restekiste für weitere Verfeinerungen angewiesen ist. Für den Bau des Modells empfiehlt es sich, möglichst viele Fotos des Originals zu Rate zu ziehen. Neben diversen Verbesserungsmöglichkeiten sind diese für die Bemalung essentiell, da die Anleitung diesbezüglich sehr vage ist. Fotos findet man einerseits auf der Seite des Betreibers, aber auch leicht über eine Bildersuche. Für die Bildersuche empfiehlt sich auch die Nutzung der japanischen Schreibweise des Schiffsnamens (ちきゅう), die man z.B. von der englisch-sprachigen Seite über die Chikyu auf Wikipedia kopieren kann. Der Bausatz kann sowohl als Wasserlinien- als auch als Vollrumpfmodell gebaut werden, ich entschied mich natürlich für die Wasserlinienvariante. Mein Modell stellt die Chikyu auf der Fahrt zu einem Einsatzort da, d.h. das Bohrgestänge ist noch eingelagert, der Aufsatz des Gestänges auf dem Meeresboden steht an Steuerbord auf seiner Halterung etc. Die Passgenauigkeit des Bausatzes ist überwiegend gut, ich habe lediglich den Übergang vom Vorschiff zum Brückenaufbau verspachtelt und es gab leichte Probleme bei den Übergängen zwischen den einzelnen Aufbautenblöcken. Die Originalgetreue ist für einen Spritzgussbausatz gut, bemerkenswert ist z.B. die Grundstruktur des Bohrturms, die nur aus einem Teil besteht. Zuerst habe ich den Rumpf und die Aufbautenblöcke zusammengebaut. Am Bug habe ich die Bullaugen und Klüsen aufgebohrt. Vor dem Aufbringen der Tamiya-Grundierung und der anschließenden Bemalung wurde nur die Brücke bereits am Rumpf angeklebt, die anderen Aufbauten wurden einzeln bemalt, da sonst Teile nicht mehr zugänglich gewesen wären. Falls man die anderen Aufbauteile vor dem Anbringen am Rumpf bereits detaillieren will, ist Vorsicht geboten, da die Aufbauten nur mit etwas Kraft in ihre Position gedrückt werden können – dies ist eben ein Steckbausatz, der auch ohne Klebstoff zusammenhalten soll. Die meisten Änderungen, die ich vorgenommen habe, betrafen Teile, die mittels der Spritzgusstechnik nur schwer korrekt dargestellt werden können. So mussten Abstützungen von Decks, an deren Stelle massive Strukturen an den Teilen zu finden waren, mittels Draht neu gemacht werden, so an den Teilen D9 und F16. Die Decksabstützung an Backbord an Teil F6 und die Davits der Beiboote habe ich dünner geschliffen. In vielen Fällen sind Gitterstrukturen nur als Relief angedeutet, so unterhalb des Hubschrauberlandedecks (Teil F3), an der Spitze des Bohrturms (Teile I-1 18 und 19), den Plattformen (E1/2, E23/31, E22/32) und der Basis der großen Satellitenantennen (D17). Auch der Dreibeinmast (Teil E25), die Unterbauten weiterer Satellitenantennen (E38, G15, G16) und Stabantennen (D3, E10), die Halterung des Krans auf der Brücke (E3) sowie die Befestigung der Gastanks (G8) sind stark vereinfacht. Diese Teile wurden mit Draht bzw. Fotoätzteilen (Tom‘s Modelworks, NNT) neu hergestellt. Die bereits angegossenen Fallreeps ersetzte ich durch Fotoätzteile von FlyHawk. Die Unterseite eines geätzten Fallsreeps aus dem gleichen Satz habe ich zur Darstellung der gitterartigen Struktur auf der Brücke zwischen dem Brückenaufbau und dem Bohrturm (Teil K7, dort als Kasten dargestellt) genutzt. Die Netze am Hubschrauberlandedeck ersetzte ich durch Fotoätzteile von OceanSpirit. Bei dem Bell 412-Hubschrauber habe ich den Heckrotor dünner geschliffen und den Hauptrotor durch einen fotogeätzten eines Lynx von WEM ersetzt. Auf Fotos der Chikyu sieht man innerhalb des Bohrturms einen Flaschenzug, über den der Spühlkopf angehoben wird. Diesen habe ich mit UNI-Caenis-Angelgarn (20 Denier) dargestellt. Hierfür klebte ich oben an Teil L10 zwei Drahtstifte als oberes Ende an, um daran die Seile vor dem Anbringen des Turms selbst befestigen zu können. Um das Ganze noch etwas realistischer zu gestalten, habe ich im Inneren des Turms noch die Spühlschläuche aus Kupferdraht ergänzt. Diese sind am Spühlkopf befestigt, das obere Ende konnte ich auf den Fotos aber nicht ausmachen. Auf der Außenseite des Bohrturm kamen noch eine Reihe von Rohren aus Draht hinzu. Zuletzt habe ich die fehlenden Ankerketten durch Fotoätzteile von BJ-Modellbau ergänzt. Von diesem Hersteller stammen auch einige Container aus Resin, die ich auf dem Schiff verteilt habe. Bemalt habe ich das Modell mit Vallejo-Farben. Rumpf und Aufbauten sind mit 4 Cremeweiß, die meisten Decks mit 73 Türkisgrün gestrichen. Für das Hubschrauberlandedeck habe ich aufgehelltes 71 Smaragdgrün und für die Arbeitsbühne 110 Achatgrau benutzt. Die Plattformen am Bohrturm, ein Teil der inneren Struktur des Bohrturms sowie die Winden auf dem Vorschiff sind mit 154 Signalgrau bemalt. Der Schornstein und die Beiboote sind mit 27 Blutorange, die meisten Kräne und das Bohrgeschirr mit 15 Signalgelb sowie der Bohrturm, der Wasserpass, der Kran für das ROV und die Lagerungen des Bohrgestänges mit 53 Brilliantblau bemalt. Die Markierungen am ummantelten Bohrgestänge sind mit 27 Blutorange, 39 Erikaviolett, 53 Brilliantblau und 73 Türkisgrün dargestellt. Um zu zeigen, wie groß und insbesondere wie hoch die Chikyu ist, hier ein Vergleich mit dem japanischen Lenkwaffenzerstörer Kongo (der im Vergleich zu den meisten anderen Schiffen schon sehr hohe Aufbauten besitzt!) und der US-amerikanischen Fregatte Reuben James der Oliver Hazard Perry-Klasse (die nur etwas länger als die Chikyu hoch ist). Quellen
Lars Scharff, Publiziert am 15. September 2014 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |