Avro LancastrianVH-EAS, Quantasvon Roland Sachsenhofer (1:144 Amodel)
Der Name „Lancastrian“ mag für nicht eingeweihte Ohren seltsam klingen, hat aber in der englischen Geschichte Bedeutung und Gewicht: die Adelspartei des Hauses Lancaster hatte mit den Anhängern des Hauses York jenen grausamen Konflikt um den englischen Thron geführt, der als „war of the roses“/ „Rosenkriege“ eine äußerst blutige Spur durch die zweite Hälfte des englischen 15. Jahrhundert zieht. Der Name bezieht sich auf die Symbole der beiden verfeindeten Seiten: eine weiße Rose stand für das Haus York, ihr rotes Gegenstück für Lancaster.
Die Bezeichnung „Lancastrian“ ist vor diesem Hintergrund gut gewählt, denn der Typ entstand 1943 bei „Victory Aircraft“ in Kanada (nachmalig Avro Canada) durch den Umbau einer Avro Lancaster X. Die Initiative dazu ging von Trans Canada Airlines aus, die eine reichweitenstarke Transport- und Passiermaschine benötigte. Mit erstaunlich wenigen Änderungen hatte man dabei aus dem Bomber eine Passagiermaschine zu machen versucht: der Ausbau von Bewaffnung und Panzerung schuf Platz, verringerte Gewicht und machte es zudem möglich, mit an die Stelle der Bug- und Heckwaffenstände gesetzten langgezogenen konischen Verkleidungen die Aerodynamik entscheidend zu verbessern.
Für die Position des Passagierabteils wählte man den Rumpfbereich hinter dem Bombenschacht. Angesichts des schmalen Rumpfes der Lancaster verfiel man auf eine einfallsreiche Anordnung der Bestuhlung: die neun Sitze wurden quer zur Flugrichtung mit Blickrichtung mach rechts angeordnet, Fenster waren dementsprechend nur an der Steuerbordseite nötig. Der hinterste Sitz befand sich auf Höhe der Einstiegstür, die nun ebenfalls mit einem Fenster ausgestattet war. Der ehemalige Bombenschacht war mit 1.800 Liter-Tanks ausgestattet, welche die ohnehin beachtliche Reichweite einer Lancaster noch zusätzlich erhöhten: mit einer Tonne Zuladung flog die Lancastrian 6.600 Kilometer, selbst mit einer maximalen Zuladung von 2.200 kg sank die Reichweite mit 5.150 Kilometer nur wenig. Die vier R&R Merlin 24/2 Motoren mit je 1.600 PS ermöglichten Geschwindigkeiten von bis zu 507 km/h, selbst die wirtschaftliche Marschgeschwindigkeit war mit rund 470 km/h noch relativ hoch.
Der gegen Kriegsende erkennbare steigende Bedarf an Passagier- und Transportmaschinen verhalf der Zwischenlösung Lancastrian zu einer erstaunlichen Variantenbandbreite und einer relativ hohen Produktionsziffer. Von den vier offiziellen Versionen Avro Lancastrian C.1, C.2, C.3 und C.4 wurden insgesamt 91 Maschinen gefertigt. Inkludiert in diese Zahl sind auch die ersten neun Lancastrian XPP, die für Trans Canada Airlines aus Lancasters umgebaut worden sind.
Die Avro Lancastrian zeichnete sich durch hohe Geschwindigkeit, große Zuladung und der beachtlichen Reichweite aus; allesamt Qualitäten, die sie von der Lancaster geerbt hatte. Dieses Erbe beinhaltete aber auch einen konstruktiven Schwachpunkt: der schmale Rumpf des Bombers war für eine Passagiermaschine denkbar ungeeignet. Ein Weise, mit dieser Herausforderung umzugehen, bestand in der schon angesprochenen Querstellung der wenigen Sitze, wie das bei den Versionen C.1 bis C.3 Standard war. Erst die C.4 hatte eine Sitzanordnung in gewohnterer Weise mit Blickrichtung Bug, wobei die Anzahl der Sitze sogar von neun auf dreizehn erhöht werden konnte.
Mit dem steigenden Bedarf an Passagiermaschinen und dem Wiederaufbau eines zivilen Streckennetzes hängt auch die weite Verbreitung der Lancastrian zusammen. Genutzt wurde sie neben der kanadischen TCA auch von der britischen BOAC und der australischen Qantas - sowie einer ganzen Reihe kleinerer britischer Fluglinien. Die Lancastrian fand sich in den Nachkriegsjahren aber auch auf dem Kontinent bei der italienischen Alitalia im Liniendienst. Militärische Nutzer erkannten ebenfalls der Vorzüge des Typs: Zwei Exemplare flogen bei der argentinischen Marine sowie bei der Royal Air Force, die allerdings eine deutlich höhere Stückzahl einsetzte: insgesamt waren drei Transportstaffeln der RAF mit der Lancastrian ausgerüstet.
15 dieser RAF-Maschinen waren bei der Versorgung des abgeriegelten Berlins 1948/49 als Frachtmaschinen im Einsatz. Allerdings sollte bei der „Berliner Luftbrücke“ eine andere Weiterentwicklung des Stammvaters Avro Lancaster bei weitem bekannter werden und die Lancastrian in den Schatten stellen: die Avro York! Hier hatte man gleich wie bei der Lancastrian Tragflächen, Antrieb und Fahrwerk von der Lancaster übernommen, allerdings war hier von Anfang an der Rumpf gänzlich neu entworfen worden: großzügig kastenförmig und mit quadratischem Querschnitt sowie mit seiner Auslegung als Schulterdecker machte er deutlich, dass man hier konsequent ein reines Fracht- und Passagierflugzeug konzipiert hatte. Allein im Vergleich der Passagierzahlen konnte die Lancastrian hier nur den Kürzeren ziehen.
So gesehen traten Yorks und Lancastrians nach 1945 für kurze Zeit also noch einmal in den Ring - aber zum Glück unblutig und mit einem gemeinsamen Ziel: die neue Zeit verlangte nicht mehr (nur) nach Bombern, sondern nach leistungsfähigen Fracht- und Passagierflugzeugen!
Mein Modell zeigt mit VH-EAS eine Lancastrian der Qantas, die Geschichte geschrieben hat: die Maschine eröffnete im Jahr 1949 mit einem ersten erfolgreichen Direktflug Australien-Südafrika die „Känguru-Route“ der australischen Fluglinie. Bausatz und Bauprozess
Die hundervierundvierzigfache Verkleinerung der Lancastrian von Amodel ist in mancherlei Weise eine Herausforderung. Zum einen ist mir eine Eigenheit aufgefallen, die ich auch von anderen Bausätzen dieses Herstellers kenne: praktisch jedes Teil muss nachgebessert oder zumindest versäubert werden. Dies ist kein wirkliches Problem, hält aber ein klein wenig auf.
Die Aufteilung der Bauschritte sowie das Layout der Teile machen auf mich einen guten, durchdachten Eindruck. Allerdings haben sich einzelne Bauschritte als so schwierig erwiesen, dass ich, ehrlich gesagt, daran gescheitert bin. Dies bezieht sich vor allem auf den Einbau der Ätzteil-Winzlinge, welche die Kühleranlage der vier Merlins andeuten sollten. Es wollte mir einfach nicht gelingen, die Miniaturteile alle im ähnlichen Winkel anzubringen oder gar wirklich gleichmäßig auszurichten. Dies hat neben meiner Feinmotorik auch mit dem eher groben Innenleben der Motorgondel-Teile zu tun. Schlussendlich wurden sie einfach „gecancelt“- kein großer Verlust, wie ich am fertiggestellten Modell feststellen konnte.
Ein anderes Thema, dem ich aber recht entschieden zu Leibe rücken konnte, sind die für den Maßstab viel zu tiefen Gravuren. Zweimal habe ich diese mit Spachtelmasse aufgefüllt und abgeschliffen, um den Eindruck zu mildern. Selbst nach diesem Vorgehen bleibt aber beinahe zu viel davon übrig, was sich speziell bei einer glänzenden Alu-Lackierung als wirklich störend bemerkbar machen kann. Der Schleif- und Spachtelfreund kommt bei diesem Modell aber auch im Übrigen voll auf seine Rechnung! Praktisch keine Partie dieses kleinen Modells kann von Schleifpapieren verschont werden. Relativiert wird das durch die Kleinheit des Modells: so ist diese Arbeit relativ schnell getan.
Über die Qualität der Klarsichtteile kann ich nichts sagen, da ich diese nicht verwendet habe. Zum Zug kam dagegen hervorragendes tiefgezogenes Material von Brengun. Das Abkleben der filigranen Streben war eine Pein und noch dazu auch nicht immer zielführend: manche Partien musste ich am fertig werdenden Modell wieder abschaben, da das Resultat zu grob ausgesehen hat. Hier trat ein sehr feiner Trockenpinsel in Aktion, mit dem ich so zart wie möglich „Silber“ aufgebracht habe, um so manche Strebe mehr anzudeuten als wirklich zu malen. Mit dem Erscheinungsbild der tiefgezogenen Kanzel bin ich sehr zufrieden, den gewissen Mehraufwand halte ich für voll gerechtfertigt.
Erwähnt werden kann noch, dass die Antennen an Rumpfrücken und Bugunterseite sowie die Bremsleitungen am Fahrwerk von mir ergänzt worden sind. Die feinen Dipolantennen am Bug wie die Rahmenantenne am unteren hinteren Rumpf stammen dagegen aus dem Bausatz.
Als Fazit darf ich behaupten, dass mich dieses Projekt begeistert hat: auf kleinem Raum konnte ich einige neue Erfahrungen sammeln. Außerdem habe ich mit der Lancastrian ein hochinteressantes Flugzeug kennengelernt, das ich gerne in einem größeren Maßstab noch einmal bauen würde. Amodel möchte ich für seine Modellauswahl wieder einmal Rosen streuen - ob diese im Lancaster-Rot oder York-Weiß gehalten sein sollen, ist zum Glück keine Frage mehr.
Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 31. Mai 2024 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |