Northrop XB-35 Flying Wingvon Roland Sachsenhofer (1:72 Italeri)
Die XB-35 ist sicher das erstaunlichste Flugzeug, das ich je auf dem Werktisch hatte. Ein in satten Aluminiumfarben glänzender Flügel mit buchstäblich keinen vertikalen Stabilisierungsflächen, das ist wirklich etwas Außergewöhnliches! Dabei ist die Idee dahinter elegant und bestechend: jeder Quadratzentimeter der Oberfläche trägt zum Auftrieb bei, ein nahezu perfekter „lifting body“ entsteht, der vermeidet, das auftriebstechnischer Ballast wie Rumpf oder Leitwerk mitgeschleppt werden müssen.
Jack Northrop darf als Amerikas Nurflügel-Papst gelten, er hatte schon vor der B-35 erfolgreich rumpflose Flugzeuge konzipiert und gebaut. Das XB-35 Projekt war somit nicht das erste Nurflügelprojekt Northrops, mit Sicherheit aber das größte. 1941 wurde von der USAAF die Konzeption eines schweren Bombers initiiert, der im Falle einer Niederlage Großbritanniens Deutschland von den USA aus erreichen konnte. Northrop beteiligte sich mit einem Nurflügel an der Ausschreibung. Der Entwicklungsvertrag sah einen Erstflug der Prototypen 1943 vor. Tatsächlich verzögerten Schwierigkeiten mit den Getrieben der gegenläufigen Propeller sowie den aufwendigen Propellerwellen gemeinsam mit den Herausforderungen, die das Nurflügel-Projekt mit sich brachte, Auslieferung und Erstflug der XB-35 bis 1946.
Zu diesem Zeitpunkt war schon deutlich geworden, dass der Propellerantrieb von Jet-Triebwerken abgelöst werden würde. Das Interesse an dem aufwendigen und von den oben genannten Schwierigkeiten überschatteten Nurflügelbomber-Projekt schwand zusehends. Schließlich sollte ein Konkurrenzprojekt, die XB-36 von Convair, in Serie gehen, bevor auch diese nach kurzer Zeit von den neuen Jet-Bombern B-47 und B-52 abgelöst wurde. Neben zwei XB-35 Prototypen wurden noch 13 YB-36 fertig gestellt, zwei davon waren sogar noch mit dem neuen Turbinenantrieb ausgerüstet worden.
Mein Modell zeigt eine der beiden XB-35. Erstaunlich und von Modellbauerseite her attraktiv finde ich dabei die ausgeprägten Auspuffspuren der vier 3000 PS leistenden Pratt & Whitney R-4360 Motoren, wie insgesamt das Aussehen, das einen regen Flugbetrieb vermuten lässt.
Der mit den AMT/ERTL Formen von 1995 ausgestattete Bausatz von Italeri lässt sich durchaus komfortabel bauen. Die Passgenauigkeit ist befriedigend, auch die Logik der Bauteilaufteilung trägt zu einem problemlosen Aufbau des wahrlich großen Nurflügels bei. Luft nach oben findet man allerdings bei der Detaillierung. Speziell auf der „Brücke“ - Cockpit passt einfach nicht für das an die Raumschiff Enterprise erinnernde Innere - sollte im vorderen Bereich mit Einfallsreichtum und ein paar passenden Ätzteilen nachgebessert werden. Gleiches trifft auf die voluminösen Fahrwerksschächte und die Fahrwerksbeine selbst zu. Aufwendig gestalteten sich für mich eigentlich nur die gegenläufigen Propeller. Aber das liegt allein in der Natur der Sache und kann Italeri sicher nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn insgesamt zweiunddreißig Propellerblätter mehrfach abzukleben und zu lackieren ist schon etwas für die Feinschmecker unter den Modellbauern.
Freude an der Gestaltung von Metalloberflächen sollte man auch mitbringen, denn davon lebt das Modell. Ich habe hier wieder die Farbpalette von Alclad genutzt, die sich auf einer Grundierung von glänzend Schwarz wunderbar verarbeiten ließ.
Insgesamt war dieses Projekt ein eindrucksvolles Erlebnis, das mir nicht nur 72 Zentimeter „Flügel“ in der Vitrine beschert hat, sondern auch die Faszination eines konsequent konzipierten reinen Nurflügelflugzeugs erfahrbar machte. Einen Baubericht gibt es hier bei „Scalemates“ und hier im JAM Forum. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at
Roland Sachsenhofer Publiziert am 06. Februar 2017 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |