Dornier Do 335 B-4von Roland Sachsenhofer (1:72 Dragon)
Jagdmaschine, Jagdbomber, Aufklärer, Nachtjäger, Höhenaufklärer, „Zerstörer“: seit Anfang 1943 verfolgte man mit der Do 335 „Pfeil“ wahrhaft weitgespannte Pläne! Mit Dorniers genialem Entwurf schien der Traum vom überlegenen Alleskönner endlich zum Greifen nah. Schlussendlich aber sollte es trotz allem bei 28 Vorserienmaschinen und 11 Exemplaren der ersten A-Serie bleiben.
Daran waren nicht nur die immer bedrückenderen Einschränkungen durch das heranrückende Kriegsende schuld, sondern auch die zahlreichen technischen Schwierigkeiten, die sich Dornier mit diesem äußerst ambitioniert angelegten Entwurf eingehandelt hatte. Kurz seien hier drei Problemfelder angesprochen, mit denen die Do 335 während der Zeit ihrer Entwicklung zu kämpfen hatte.
Zum einen machten Mechanik und Stabilität des Bugrads, eines in Europa noch unüblichen und als „amerikanisch“ angesehenen Konzeptes, beständig Schwierigkeiten. Zum anderen wurde mit dem Schleudersitz vollkommenes Neuland betreten. Drei Hersteller konkurrierten mit eigenen Konstruktionen, die übrigens nicht, wie heute üblich, mit Raketen, sondern per Pressluft oder mit Treibladungen betrieben wurden. Heinkel und Focke-Wulf setzten Schleudersitze mit 14g beziehungsweise mit 18g Spitzengeschwindigkeit ein, während Dornier eine Eigenentwicklung bevorzugte, bei der der Ausschuss mit bis zu 25g stattfand. Dies erwies sich jedoch als lebensgefährlich und führte zu massiven Verletzungen.
Bei der der Do 335 beinhaltete das komplexe Notausstiegsverfahren auch das Absprengen der oberen Heckfinne sowie des Heck-Propellers; was wohl schon rein psychologisch für den Piloten eine Erleichterung darstellte.
Zum dritten hatte die Do 335 mit Herausforderungen zu kämpfen, die für alle Entwürfe mit in der Mitte des Rumpfes verbauten Triebwerken typisch waren: Überhitzung des Motors sowie Probleme mit der Kraftübertragung durch eine Fernwelle. Diese führte vom schwerpunktnah verbauten hinteren Triebwerk zum Schubpropeller im Heck und wies die beachtliche Länge von drei Metern auf. Ein Kritikpunkt fand sich auch in den schlechten Sichtverhältnissen des Piloten.
Die Erprobung der futuristischen Do 335 wurde durch das Erprobungskommando 335 in Rechlin durchgeführt. Der im September 1944 aufgestellte Verband flog vor allem Vorserienflugzeuge der A-0 Serie. Diese Exemplare, voll bewaffnet und ausgerüstet, gaben einen realistischen Eindruck, was von den aus den geplanten Großserien stammenden Maschinen zu erwarten wäre - und das war aus deutscher Sicht vor allem Erfreuliches!
Die innovative Auslegung sicherte der Do 335 in so manchen Bereichen überlegene Leistungen: mit den Triebwerken in Tandem-Anordnung konnte die Kraft zweier Motoren zur Wirkung gebracht werden, wobei aerodynamisch nur der Preis für den Querschnitt eines Triebwerks bezahlt werden musste. Durch diese Anordnung war auch gesichert, dass bei Auswahl eines Motors kein Zug um die Hochachse kompensiert werden müsste.
Die beiden in der Längsachse und relativ nah am Schwerpunkt angeordneten Triebwerke verliehen der Do 335 ein für ein derart großes Flugzeug erstaunliche Wendigkeit. Speziell die Rollrate profitierte von der Positionierung der beiden Motoren entlang der Längsachse.
Das Potential der Do 335 war gewaltig. Die beiden DB 603E Motoren beschleunigten die immerhin 9.600 kg schwere Maschine auf 775 km/h; die „Pfeil“ wurde zur schnellsten seriengefertigten Propellermaschine der Geschichte. Intern konnte eine Abwurflast von 500 Kilogramm mitgeführt werden oder eine entsprechend Menge an zusätzlichem Treibstoff. Die Reichweite stieg so auf bemerkenswerte 1.800 Kilometer. Auch in den Außenabmessungen war die Do 335 eine Klasse für sich: bei einer Länge von 13,80 m und einer Spannweite von 13,82 m stand schon gewaltig viel Flugzeug am Platz, vor allem, wenn man sich dazu noch die Höhe von 5 Metern vergegenwärtigt!
Die hier gezeigte Do 335 in der Version B-4 war als Aufklärer geplant. Durch neue, auf 18,4 m Spannweite verlängerte Tragflächen mit geringer Streckung hätte sie noch bessere Höhenleistungen aufgewiesen. Zudem sollten zwei DB 603LA mit zweistufigem Lader und je 2.000 PS noch mehr Kraft für die beiden Propeller liefern. Bis auf Flächen und Antrieb entsprach die geplante Do 335 B-4 dabei einer A-4. Gebaut wurde dieser Aufklärer nicht mehr, das hier gezeigte Flugzeug ist also reine Fiktion. Zum Modell und zum Bauprozess
Der hier zugrundeliegende Bausatz ist eine 2007 entwickelte Variante der 1992 zum ersten Mal erschienen Formen von Dragon. Übrigens: mit einer B-6, also einem Nachtjäger, hatte es der Hersteller schon früher mit einer fiktiven Do 335 versucht.
Wie so oft sind hier sowohl Licht- wie auch Schattenseiten zu finden - und oftmals liegen sie nahe beieinander. So scheint mir der Teileaufbau logisch und nicht überkompliziert, auch an die Passgenauigkeit erinnere ich mich als generell gut. Allerdings erwartet man zumindest nach heutigen Ansprüchen etwas mehr Details im Cockpit oder im Fahrwerksbereich. Bei beiden Bereichen konnte ich glücklicherweise auf ein Ätzteilset des Herstellers „Part“ zurückgreifen. Im Cockpit kam weiters Metall von Eduard zum Zug: die Gurte wie (das stark modifizierte) Instrumentenbrett entstammten dabei allerdings einer ursprünglich für eine Fw 190 gedachten Platine.
Eine große Herausforderung war für mich die Erstellung der Fleck-Tarnung; genauer müsste man sogar sagen: sie war sogar der Anlass, akkurat jetzt dieses Modell zu bauen! Kurze Zeit davor hatte ich bei einem Bf 109-Projekt eine Methode erprobt, mit selbstgeschnittenen Schablonen derartige nieren- oder kreisähnliche Tarnflecken aufzubringen. Dabei wird die Farbe der dunkleren Flecken zuerst aufgebracht, sodann mit den kleinen, aus Tamiya-Band geschnittenen Schablonen abgeklebt, um dann anschließend mit dem helleren Farbton übersprayt zu werden. Nach dem Ablösen der Maskierung kommen schön und klar abgeklebte Tarnflecken zum Vorschein - wenn denn alles gut gegangen ist!
Bei diesem Bauprojekt war für mich nun äußerst spannend, ob ich diese Vorgehensweise auch im kleinen Maßstab mit einem befriedigenden Ergebnis umsetzen würde können. Ich zeige Euch dazu die Bilder eines Teils der von mir verwendeten Schablonen - sowie, als Zeugnis meines Tuns, natürlich das fertiggestellte Modell selbst.
Ein wirklich begrüßenswertes Detail des Bausatzes ist die beiliegende Ätzteilplatine für die Einstiegsleiter. Diese bot beim Vorbild eine Möglichkeit, auf die in beträchtlicher Höhe befindlichen Tragflächen und so auch ins Cockpit zu gelangen. Im Original wie im Maßstab verdeutlicht die relative Zierlichkeit dieser zusammengeklappt im Rumpf verstaubaren Leiter die gewaltige, ja erschreckende Größe einer Do 335!
Für mich war dieser erfahrungsreiche Bau der Auftakt zu einer näheren Auseinandersetzung mit dem faszinierenden Thema Do 335. Die drei nächsten „Pfeile“ werde ich aus dem Köcher ziehen, den Tamiya mit zu recht berühmten Do 335 Bausätzen in 1:48 sehr gut bestückt hat. Dragons Bausatz in 1:72 muss sich hinter diesen „ großen Brüdern“ nicht verstecken - und punktet damit, dass auch exotische Varianten dieses ohnehin schon ungewöhnlichen Flugzeuges ermöglicht werden!
Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates“.
Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 24. Juni 2022 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |