Germans to the front!Kaiserlich Deutsche Marine – Boxeraufstand 1900von Nils Hayn (75mm Vice75 Miniatures)
Etwas GeschichteAls Teil des vom britischen Admiral Sir Edward Seymour (1840-1929) befehligten multinationalen Expeditionskorps nahmen auch Einheiten der Kaiserlichen Marine an den Kämpfen des Boxeraufstandes im Jahr 1900 teil. Dabei umfasste das deutsche Kontingent vier Kompanien. Diese Abteilungen waren nach deren Schiffen Kaiserin Augusta-Kompanie, Hertha-Kompanie, Hansa-Kompanie und Gefion-Kompanie benannt und standen unter dem Oberkommando des Kapitäns zur See Guido von Usedom (1854-1925). Ziel der Seymour-Expedition war die Befreiung der eingeschlossenen Gesandtschaften in Peking. Aufgrund wiederholt massiver Angriffe der Boxer und dem zusätzlichen Eingreifen regulärer chinesischer Truppen auf Seiten der Aufständischen musste sich das Expeditionskorps alsbald zurückziehen, ohne das Ziel erreicht zu haben. In diese von vielen Abwehrkämpfen geprägte Rückzugsphase soll die von Admiral Seymour an Kapitän zur See von Usedom erteilte Weisung: "The Germans to the front!" gefallen sein. Später wurde dieser Befehl Seymours als Anerkennung deutschen Soldatentums interpretiert und von Carl Röchling (1855-1920) auf dem gleichnamigen Gemälde aus dem Jahr 1902 glorifizierend dargestellt. Weiterführende Informationen zur Vorgeschichte, historischen Abläufen und Zusammenhängen zum Boxeraufstand finden sich im Internet. Die fertige Figur
Der BausatzUnter der Nummer V75015 und dem Titel Imperial German Marine – Boxer Rebellion 1900 hat der ungarische Hersteller Vice75 eine ansprechende und ausdrucksstarke Resin-Figur eines kaiserlichen Seesoldaten herausgebracht. Figur und Kriegsflagge sind fein modelliert und blasenfrei gegossen. Als Flaggenstock liegt dem Bausatz eine Ø 1,5 mm Messingstange bei. Zudem kann der Modellbauer zwischen zwei Kopfbedeckungen, einer Matrosenmütze mit dem Schriftzug SMS Hansa oder dem zeitgenössischen Tropenhelm wählen. Als Uniform trägt der dargestellte Flaggenträger den sogenannten Tropenlandungsanzug der Kaiserlichen Marine mit weitem Hemd und hellblauen Seemannskragen, gehalten von einem schwarzem Halsknoten und weißer Schleife. Komplettiert wird die Uniform durch Gamaschen, den Lederkoppel mit Patronentaschen und Seitengewehr, sowie einen umgehängten Brotbeutel. Die Positur als Flaggenträger mit der Kaiserlichen Kriegsflagge 2. Ausführung (1892-1903) und die Marineuniform werden Kenner sofort mit dem Gemälde „The Germans to the Front“ von Carl Röchling assoziieren, welches zweifelsohne als Inspiration und Vorlage für diese tolle Figur diente.
Der Bau und die ÄnderungenDer Bau der Figur ging rasch und leicht von der Hand, einerseits wegen der übersichtlichen Anzahl von Bauteilen, andererseits wegen der sauber gegossenen und passgenauen Teilequalität. Minimale Fugen konnten problemlos mit Sekundenkleber verfüllt werden. Zwecks Erleichterung bei der nachfolgenden Bemalung blieben Helm und Seitengewehr zunächst unverklebt. Um die Figur noch etwas zu individualisieren, wurden kleine Veränderungen vorgenommen. Die wohl markanteste Änderung betrifft die Kriegsflagge. Trotz der gelungenen Darstellung der beiliegenden Resin-Flagge sollte eine noch dynamischere Bewegung der Flagge wiedergegeben werden. Daher fand die beiliegende Flagge keine Verwendung und die Suche nach überzeugenderen Alternativen begann. Die Suche endete in diesem Fall bei Flaggen für den Schiffsmodellbau. Dahinter steht Herr Hans-Jürgen Blissenbach – ein Fachmann, wenn’s um Flaggen und deren bedruckte Miniaturausgaben für den (Schiffs-) Modellbau geht. Da die benötigte Flaggengröße (Kriegsflagge 1892-1903, Liekmaß 48 mm) zunächst nicht im Programm war, wurde alternativ auf die spätere Variante der Kriegsflagge (1903-1921) zurückgegriffen und in Details angepasst. "Die breiteren Streifen vom Balkenkreuz merkt sowieso keiner" - so der Gedanke, um die eigenen Bedenken zu diesem Kompromiss zu zerstreuen. Eine zunächst annehmbare Alternativlösung, die aber nie vollends überzeugte. Die freundschaftliche Kritik eines Modellbaufreundes war dann der finale Auslöser zum Handeln. So entstand schließlich die direkte Kontaktaufnahme zu Herrn Blissenbach, um mit Bildern der fertigen, aber falsch beflaggten Figur Problem und Anliegen zu schildern. Keine vier Wochen später lag die historisch korrekte Deutsche Kriegsflagge 1892-1903 im benötigen Liekmaß von 48 mm im heimischen Briefkasten. Der nachträgliche Austausch an der bereits fertigen Figur war eine herausfordernde, aber doch gern gemachte Nacharbeit. An dieser Stelle der Dank an Herrn Blissenbach für seine Unterstützung. Weiterhin die uneingeschränkte Empfehlung seiner Internetseite für alle, die auf der Suche nach maßstabsgerechten Flaggen aus Stoff sind. Die zweite Änderung betraf die Halspartie der Figur. Hier ist ein Kragen modelliert, der entfernt wurde, um eine nackte Hals- und Schlüsselbeinpartie darzustellen. Nachdem der Kopf verklebt war, erfolgte die Neugestaltung des Übergangs vom Hals zum Schlüsselbein mit Magic Sculp. Weitere Änderungen betrafen den Flaggenstock und dessen Spitze. Die Bausatzteile wurden hier komplett ersetzt. Der Flaggenstock besteht nun aus dem Holz eines dünn geschliffenen Schaschlikspießes. Als neue Spitze und in Anlehnung an das Gemälde von Carl Röchling fand eine Ø 3mm Metallkugel und ein Ø 2mm Messingrohr als Adapterstück Verwendung. Last but not least wurde die Figur im Lauf dargestellt. Dazu reichte es, die Figur weiter nach vorn zu neigen und mit nur einem Fuß am Sockel zu montieren. Änderungen am BausatzMaterialvergleich - bedruckter Stoff vs. Resinguss Bemalung und SockelgestaltungDie Figurenbemalung erfolgte mit Humbrol Enamel- und Ölfarben verschiedener Hersteller. Zunächst erhielt die Figur mit der Airbrush eine matt-schwarze Grundierung mit einer anschließenden zenitalen Aufhellung in Matt-Weiß. Die weitere Bemalung erfolgte dann überwiegend mit dem Pinsel. Besondere Herausforderungen stellten bei dieser Figur die Bemalung der weißen Uniform und die Darstellung der weißen Streifen am Seemannskragen (auch Exerzier- oder Kieler Kragen genannt) und den Manschetten dar. Bemalung der weißen UniformGrundiert und zenital aufgehellt Bemalung der restlichen UniformUm die vorausgegangene Bemalung nicht zu ruinieren, muss sehr sorgfältig und vorsichtig gearbeitet werden Für die Bemalung der weißen Uniformteile wurde sich an den Ausführungen von Man-Jin Kim zu diesem Thema orientiert – nur eben auf Enamel- bzw. Ölfarben übertragen. Das Koppelschloss wurden mit Alcladfarbe gepinselt und mit Ölfarbe verfeinert. Die Manschettenknöpfe sind ein persönlicher Versuch – eine Kombination aus gelber Grundierung (Enamel), einem dünnem Überzug mit Burnt-Umber (Öl) und einem Lichtpunkt aus heller Goldfarbe. Zur möglichst realistischen Darstellung der drei weißen Streifen am Kragen (jeweils 0,2 mm breit) und den Manschetten wurden verschiedene Optionen durchdacht. Neben freihändigem Bemalen auch das Abkleben mit anschließendem Bemalen der einzelnen Streifen. Zum Abkleben wurden auch Versuche gemacht (siehe Bild). Letztendlich wurden diese beiden Ansätze verworfen und stattdessen auf weiße Decalstreifen aus dem Hause Anyz zurückgegriffen. Die Verarbeitung ist dabei nicht minder herausfordernd und bedarf neben handwerklichem Geschick auch das richtige Werkzeug. Neben Holzstäbchen, Pinsel, Skalpell und Setting-Solution für Decals war die Super-Präzisions-Pinzette eine echte Hilfe und große Erleichterung für diese Geduldsarbeit. Nach dem Vorbild von Carl Röchlings Gemälde wurde der Sockel mit einer einfachen Grasfläche und etwas Gestrüpp gestaltet. Dazu wurde braun eingefärbter Weißleim aufgetragen, gefolgt von einer Mischung aus zwei unterschiedlich langen und verschiedenfarbigen Streumaterialien. Ein improvisiertes Begrasungsgerät half beim Aufbringen und Ausrichten der recht eigenwilligen Grashalme. Anschließend wurden noch verschiedene getrocknete Naturpfanzenteile platziert. Für etwas farbliche Abwechslung wurde eine Sorte der Naturpflanzen noch mit verdünnter Ölfarbe im Ton Burnt Sienna eingefärbt. Matter Klarlack bildete den Abschluss der Grasgestaltung. Nachdem die Figur auf dem fertigen Sockel montiert war, fanden Staubspuren in Form von dezent aufgetragener Pastellkreide ihren Weg auf Gamaschen und Stiefel. Auch hier diente das Gemälde von Carl Röchling als Vorbild. Uniformdetails und SockelDetailansicht der fast fertig bemalten Figur FazitVice75 hat hier ein interessantes Thema im Maßstab 75 mm realisiert. Die Figur überzeugt durch die Qualität beim Guss, der Passgenauigkeit und der Modellierung. Darüber hinaus bietet der Bausatz mit zwei optionalen Kopfbedeckungen Spielraum für Individualisierungen und auch die Herausforderung bei der Bemalung dieser ausdrucksstarken Figur kommt nicht zu kurz. Insofern ist diese Figur für den ambitionierten Anfänger aber auch für erfahrene Modellbauer empfehlenswert. Happy modelling! Detailaufnahmen der fertigen Figur
Nils Hayn Publiziert am 28. Juli 2023 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |