Martin B-10/Model 139WTvon Roland Sachsenhofer (1:72 Special Hobby)Martin B-10
Wenn 1934 eine Ikone wie General Henry „Hap“ Arnold die Martin B-10 enthusiastisch zum „Flugwunder seiner Zeit“ ("the air power wonder of its day,") erklärt, kommt dies einer Erhebung in den aeronautischen Adelsstand gleich – und will auch etwa meinen. Was Arnold konkret zu diesem günstigen Urteil geführt hat, wird noch zu schildern sein, eines lässt sich aber hier schon sagen: die B-10 war tatsächlich ein „Wunder“!
Zum einen übertraf ihre Höchstgeschwindigkeit mit großem Abstand nicht nur die aller zeitgenössischen Bomber, sondern bemerkenswerterweise auch die aller damaligen Jagdflugzeuge. Zum anderen war sie ein Wunder an technischer Innovation. In ihrer Auslegung wurde zum ersten Mal ausgebildet, was ab nun zum Standard nachfolgender Bomber gehören würde. Neuerungen waren etwa die Einführung eines angetriebenen Geschützturms - dieses übrigens zeitgleich mit der britischen Boulton Paul Overstrand, einem aerodynamisch ansonsten höchst unsauberen Entwurf - das vollständig geschlossene Cockpit für die gesamte Besatzung, der Einbau von vollständig verkleideten Triebwerken sowie, last but not least, das einziehbare Fahrwerk.
Begonnen hatte alles jedoch mit einer Auslegung, die in manchem noch dem alten Denken verbunden war. 1932 war bei Glenn Martin das „Model 123“ als ein privater Vorschlag für einen zukünftigen Bomber konzipiert worden. Dabei saß eine vierköpfige Besatzung noch in unverkleideten Cockpits, die beiden Wright SR 1820 Triebwerke saßen noch, nur mit einem zeittypischen Townend Ring verkleidet, recht klobig vor der Tragflächenkante. Allerdings zeigte der Entwurf schon den internen Bombenschacht sowie ein einziehbares Hauptfahrwerk.
Nach Erprobung durch die US-Armee wurde der Entwurf bei Martin überarbeitet und danach mit all den genannten zukunftsweisenden Neuerungen als XB-10 dem USAAC erneut angeboten. Als die darauffolgende Erprobung das erstaunliche Potential der B-10 offenkundig gemacht hatte, zögerte die US-Army nicht länger: noch im Jänner 1933 erging der Auftrag für eine Vorserie von 48 YB-10.
Die Besatzung wurde bei der überarbeiten B-10 von ursprünglich vier auf drei Mann reduziert, hinzu kam eine wesentliche Leistungssteigerung: ab nun wurden zwei je 775 PS liefernde Wright R-1820-33 Sternmotoren eingebaut.
Sieht man die Kenndaten der B-10 vor dem Hintergrund vergleichbarer zeitgenössischer Flugzeuge, wird der aufsehenerregende Qualitätssprung deutlich. Die Höchstgeschwindigkeit des mit 21,5 Metern Spannweite und 13,6 Metern Länge nicht allzu großen Bombers wurde mit 346 km/h gemessen. Die maximale Startmasse betrug 7.740 kg, wobei 7.390 Meter Höhe gehalten werden konnten. Die Reichweite konnte mit höchst respektablen 2.200 Kilometern punkten.
Bis 1936 sollten insgesamt 121 B-10 an die US-Army geliefert werden, die bis zur Ablöse durch modernere Muster wie der B-17 Flying Fortress oder der B-18 Bolo an allen Einsatzgebieten der USAAC und USAAF zuverlässig Dienst taten. So bekannt und so verbreitet die B-10 war, sowenig konnte sich der von Martin lacierte Populärname durchsetzen - was vielleicht auch ein Glück war: er hätte recht uncharmant „Flying Whale“ gelautet.
Zum Kriegseinsatz kam die B-10 nur unter der Flagge nichtamerikanischer Nationen. 1936 war das Exportverbot gefallen, was den weltweiten Verkauf der B-10 in zahlreichen Exportvarianten ermöglichte. So kauften etwa die Niederlande 39 Maschinen, 34 gingen an Argentinien, 9 wurden nach China geliefert und 1937 gesellte sich noch die Türkei mit einem Kauf von 20 B-10 zum Kundenkreis hinzu.
Die Niederländer setzten die B-10 anfänglich in Fernost gegen die vorrückenden Japaner ein, gegen die Zero erwies sich das einstige Wunder jedoch als chancenlos. Gegen denselben Gegner flogen B-10 in China. Hier stand der Bomber in einem verlustreichen Kampf, bis buchstäblich die letzte der neun gelieferten B-10 im Juli 1938 Bruch gemacht hatte.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass chinesische B-10 die ersten feindlichen Flugzeuge waren, die das japanische Hauptland „angegriffen“ beziehungsweise überflogen haben. Alle verfügbaren B-10 hatten in der Nacht auf den 20. Mai 1938 gemeinsam mit anderen chinesischen Maschinen an einem spektakulären Einsatz zum Abwurf von Flugblättern über den Städten Nagasaki, Fukuoka und Kurume teilgenommen. Ihr Auftrag war, die japanische Bevölkerung über die entsetzlichen Kriegsverbrechen, die von den japanischen Invasoren in China verübt wurden, in Kenntnis zu setzen.
Mein Modell zeigt allerdings eine B-10 Model 139WT in türkischen Diensten. 1941/42 wurde diese Maschinen bei der 55. Staffel der türkischen Luftwaffe eingesetzt, um die Neutralität des Landes im Seegebiet des Schwarzen Meeres zu sichern. Stationierungsort der Einheit war dabei das knapp westlich Istanbuls gelegene Corlu. Die spektakuläre orange Oberseite erklärt sich so als die auffallende Farbe eines neutralen Dritten.
Um diesen Überblick über die Geschichte der B-10 „Flying Whale“ zu Ende zu bringen: General „Hap“ Arnold hatte einen guten Anlass, um die eingangs wiedergegebene Beurteilung der B-10 zu fällen: 1934 führte er eine Formation von zehn der neuen B-10 Bomber von Washington D.C. nach Fairbanks, Alaska und wieder retour, eine Strecke von insgesamt 13.341 Kilometern. Dieser Flug war organisiert worden, um das Potential des neuen Langstreckenbombers der in- und ausländischen Öffentlichkeit pressewirksam demonstrieren zu können. Zum Bausatz
Eines vorneweg: durch den gesamten Bauprozess dieses seltenen Flugzeuges zog sich als roter Faden die gute Laune des Modellbauers, die auf Qualitäten wie sinnvolles Teile-Layout, passable Passgenauigkeit oder stimmiges Maß an Details zurück geht.
Das liegt wohl auch daran, dass die Bausatzformen recht jung sind: erst 2020 brachte Azur völlig neue Formen einer B-10 auf den Markt, weitere Auflagen dieses ja sehr variantenreichen Musters folgten.
2021 hat sich Special Hobby dieses Bausatzes angenommen und diesen mit einer eigenen Markierungssvariante für thailändische, chinesische und eben einer türkischen Maschine angeboten. Dazu kam ein Bogen mit Masken für die Klarsichtteile; dieses extra zu erwerbende Zurüstteil möchte ich angesichts der vielen Klarteile wärmstens empfehlen.
Der Aufbau des Rumpfes ist ungewohnt, erweist sich aber als eine gut durchdachte Lösung, um die aus Wellblech gefertigten Rumpfabschnitte darstellen zu können. Die Passgenauigkeit erweist sich als gut, wenn auch nicht perfekt; Spachtelmasse und Schleifpapier sollten immer in Reichweite sein.
Ein paar wenige Teile habe ich ausgewechselt. So wurden die beiden Pitotrohre aus Draht und Teilen von Nadeln nachgebaut, ebenso die Auspuffrohre, die aus ausgehöhlter Kabelisolierung gefertigt worden sind. Cockpit sowie Fahrwerksbeine bekamen ein paar Ätzteile wie Sitzgurte oder Bremskabel spendiert, ebenso wurden die Sternmotoren mit Zündkabeln ausgestattet.
Beim Anbringen der Kabinenhauben müssen gröbere Fehlpassungen einkalkuliert werden. Die Baufotos zeigen, wie ich am fertig lackierten Modell noch einmal gespachtelt habe. Dies ist weiter keine Tragik, sollte aber einkalkuliert werden.
Der aufwändigste Teil war für mich persönlich das Aufbringen der orangen Oberseite. Hier muss der Natur des Farbe wegen in mehreren Schichten gearbeitet werden. Zusätzlich hat sich die orange Farboberfläche als sehr heikel und kapriziert gezeigt, als es darum ging, die in Alu gehaltenen Bereiche abzukleben. Nach Entfernung der Maskierbänder zeigten sich störende Oberflächenveränderungen am Orange, es musste noch einmal angeschliffen und lackiert werden. Den Decals des Bausatzes kann man sich ohne Bedenken anvertrauen; wunderbar dünn und doch reißfest gearbeitet, war das Aufbringen und Positionieren die reinste Freude.
Wieder einmal darf ich sagen: dies Bau hat mir neben der modellbauerischen Freude auch einen kurzweiligen Zuwachs an Erfahrungen gebracht! Schön, dass derart schöne und nicht allzu bekannte Muster in so hoher Qualität zu haben sind. Das fertiggestellte Modell erhöht den Anteil an Orange in meiner Vitrine jedenfalls ganz gewaltig.
Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates“. Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 13. September 2021 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |