De Havilland DH.88 Cometvon Roland Sachsenhofer (1:48 Mikro Mir)
Die Hundertjahr-Feier des australischen Bundesstaates Victoria, ein überaus wohlhabender Schokoladenfabrikant, ein innovationsfreudiger Flugzeughersteller und eine nationale Luftfahrtindustrie, die viel aufzuholen hatte: das sind die wesentlichen Zutaten, aus deren Wechselwirkung die hier im Modell vorgestellte aerodynamische Schönheit hervorgegangen ist. Eine Schönheit, die im Verbund mit ihren Leistungen für anhaltende Bekanntheit gesorgt hat: auch wenn nicht jeder ihren Namen wissen wird, so ist die De Havilland DH.88 Comet selbst heute noch ein Begriff! Das Victorian Centenary Air Race (MacRobertson Luftrennen)
Welche Rolle spielen die eingangs genannten Faktoren? Sir Macpherson Robertson, ein wohlhabender Geschäftsmann und Hersteller von Schokolade („MacRobertson’s confectionery“) hatte anlässlich der 1934 stattfindenden Hundertjahrfeier seines heimatlichen Bundesstaates Victoria die namhafte Summe von 75.000 US-Dollar gestiftet. Gewidmet war die Summe für die Abhaltung eines 18.500 Kilometer langen Luftrennens von Großbritannien nach Melbourne. Der Shell-Konzern fand sich zusätzlich bereit, den benötigten Treibstoff zu liefern, während der britische Royal Aero Club die komplexe Organisation dieses um den halben Planeten führenden Rennens übernahm. Der Start war für den 20. Oktober 1934 angekündigt, die Flugroute würde die Teilnehmer vom englischen RAF Mildenhall über Frankreich, das Mittelmeer, den Nahen Osten, Afghanistan, Indien, Sumatra, Batavia und Timor bis ins australische Melbourne führen. 27 Flugplätze entlang der Strecke wurden für den Wettbewerb vorbereitet, zum Teil dafür auch ausgebaut.
Aufschlussreich sind die Wettbewerbsbedingungen: startberechtigt waren grundsätzlich alle Maschinen, die ein gültiges Luftsicherheitszertifikat sowie den Nachweis, den Anforderungen der International Convention of Air Navigation (ICAN) zu genügen, vorweisen konnten. Vorgabe hinsichtlich der Anzahl der Motoren, Besatzungsstärke oder Bauweise gab es dagegen keine. Einzige weitere Reglementierung: sobald die Maschinen den britischen Luftraum verlassen hatten, durften die Besatzungen nicht mehr gewechselt werden. Diese sehr offenen Anforderungen begründen wohl auch die auffallend große Bandbreite an Größe, Besatzungsstärke und Motorisierung der teilnehmenden Maschinen.
Als Konkurrenten der DH.88 Comet traten die besten und leistungsfähigsten Proponenten der damaligen Passagier- Sport- und Rennfliegerei an. Als Favoriten galten dem Fachpublikum schnell zwei spezielle Konstruktionen: ein vierköpfiges niederländisches Team nahm mit einer der neuen DC-2 von Douglas teil, während eine dreiköpfige US-Besatzung eine Boeing 247 ins Rennen brachte, die, neben der DC-2, als eine der modernsten Passagiermaschinen jener Tage galt. Die Liste der teilnehmenden Flugzeuge verzeichnet noch weitere bekannte Namen, wie Lockheed Vega, DH.98 Dragon Rapid oder Miles Hawk Major. Die amerikanischen Favoriten strotzten vor Modernität und hatten ihre Meriten schon verdient - im Unterschied zur DH.88 Comet, von der zum Zeitpunkt der Ausrufung des Wettbewerbs noch nicht einmal Pläne existierten. Tatsächlich wurden die drei teilnehmenden DH.88 Comet innerhalb der erstaunlich kurzen Frist von Jänner bis Oktober 1934 erdacht, geplant, gebaut und erprobt- die letzten Modifikationen zogen sich buchstäblich bis in die letzten Tage vor dem Start. Wie kam es dazu? Zur De Havilland DH.88 Comet
Vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden technischen Überlegenheit der US- Konstruktionen begann sich in Großbritannien die Sorge vor einem äußerst blamablen Rennausgang zu verbreiten. DC-2 wie Boeing 247 waren schnelle und aus leichtem Aluminium gebaute Maschinen mit Einziehfahrwerk, deren selbstragenden Rumpfbeplankung und sauber verkleideten Motoren die antiquierte Bauweise britischer Doppeldecker-Passagiermaschinen weit hinter sich gelassen hatte. Großbritannien hatte bis dato nichts, was mit den Amerikanern mithalten konnte.
Bei De Havilland war man sich bewusst, dass die eigenen teilnehmenden Entwürfe DH.86 Express, ein stoffbespannter viermotoriger Doppeldecker, sowie das Sport- und Reiseflugzeug DH.80 Puss Moth das Rennen nicht auf einem Siegerplatz beenden würden. Allerdings war man zuversichtlich, mit einem völlig neuen Entwurf die Dinge grundlegend ändern zu können! Selbstvertrauen sprach auch aus der Art der Bekanntgabe eines neuen Renn-Teilnehmers: im Jänner 1934, also knappe zehn Monate vor dem Start, veröffentliche De Havilland folgende Werbung: für einen Preis von 5.000 Pfund konnte man ein neues De Havilland-Rennflugzeug erwerben, Konstruktionsweise, Motorisierung oder Leistungsparameter waren noch unbekannt, garantiert war nur der Termin der Auslieferung sowie der geschwindigkeitsverheißende Name des neuen Flugzeuges: Comet.
Tatsächlich fanden sich umgehend Interessenten - und bald auch Käufer: das Flieger-Paar Jim Mollison und Amy Johnson, von der Presse als „flying sweetharts“ tituliert, unterschrieben als erste, gefolgt von A.O Edwards, Besitzer und Direktor des Grosvenor House Hotels. Nachdem De Havilland nur bereit war, die Comet ab einer Stückzahl von drei bestellten Maschinen auch tatsächlich zu bauen, war das nachfolgenden Warten auf einen dritten Käufer nervenaufreibend: das Ende der Anmeldefrist rückte schließlich unerbittlich näher. Groß war daher die Erleichterung, als mit dem bekannten Rennfahrer Arthur Ruben schlussendlich ein dritter Käufer gefunden worden war. Den garantierten Kaufpreis von 5.000 Pfund kalkulierte De Havilland übrigens auf rund ein Zehntel der tatsächlichen Kosten pro Maschine. Im Falle eines Sieges würde diese Summe nicht nur durch die gewonnene Erfahrung, sondern auch als Werbung gut investiert sein.
Bei De Havilland hatte man sich lange über die Bauweise des neuen Flugzeuges bedeckt gehalten, intern war Chefkontrukteur A.E. Hagg jedoch schnell sicher, dass nicht eine Kopie der Leichtmetallkonstruktionen ans Ziel führen würde, sondern eine Bauweise, die er persönlich vom Bau von Rennbooten her gut kannte: die Comet würde als sorgsam geformte Sperrholzkonstruktion gebaut werden. Sperrholzrümpfe und Tragflächen haben seitdem De Havillands Entwürfe geprägt; die legendäre DH.98 Mosquito sei nur als ein Beispiel genannt. Auch die Wahl der Motoren für die Comet war schnell entschieden. Gerade rechtzeitig hatte De Havillands Motorenspezialist Frank Halford eine neue Sechszylindervariante des bewährten Gipsy Major entwickelt. Zwei getunte „Gipsy Six“ wurden als ein idealer Antrieb für das neue Rennflugzeug erachtet.
De Havilland lieferte die drei Comet in drei unterschiedlichen Farben. Die erste Maschine war jene der Mollisons: diese DH.88 mit der Nummer 1994 war effektiv der Prototyp der kleinen Serie. Am 8. September 1934 wurde sie von Testpilot Hubert Broad zum ersten Mal in die Luft gebracht. Bei der an die Spitze getriebenen leistungsstarken Konstruktion kein Wunder: bis kurz vor dem Rennstart mussten zahlreiche Modifikationen vorgenommen werden. Am Morgen des 20. Oktobers war die Maschine allerdings bereit: glänzend schwarz gestrichen stand sie mit der Aufschrift „Black Magic“ und der Kennung G-ACSP hochbeinig am Start.
Edwards Comet ging mit der Kennung G-ACSS als „Grosvenor House“ an den Start. Als Besatzung hatte Edwards die renommierten Piloten C.W.A. Scott und Tom Campbell Black engagiert. Warum die Farbwahl auf Rot gefallen war, wird sich nachprüfbar wohl nicht mehr eruieren lassen. Ob die überlieferte Erklärung von Scotts Ehefrau Greta, dies sei durch die Farbe eines ihrer Cocktailkleider entschieden worden, wirklich etwas erklärt, darf der Leser selbst entscheiden.
Die Farbe der dritten Comet ist dagegen leichter herzuleiten: Bernard Rubin war ein bekannter Rennfahrer, seine Farbwahl war sinnigerweise das aus dem damaligen Motorsport bekannte „British Racing Green“. Rubin hatte geplant, mit dem befreundeten Flieger Ken Waller ins Cockpit zu steigen, es sollte zu seinem Leidwesen allerdings kommen: kurz vor dem Rennen erkrankt, musste er für sich einen Ersatz finden: Owen Cathcart-Jones sollte sich glücklicherweise als gute Wahl erweisen. In prächtigem „Racing Green“ und mit der Kennung G-ACSR stand Rubins Maschine als dritte Comet am Start. Auf eine Namensgebung hatte man hier verzichtet, der Bug blieb bis auf einen kleinen Union Jack leer.
Die drei Comets beendeten das Rennen auf recht unterschiedliche Weise. „Black Magic“ übernahm noch am ersten Tag die Führung; die Mollisons flogen nonstop nach Bagdad und stellten, rasch weiterfliegend, einen neuen Rekord für die Route London-Karachi auf. Jedoch: nach dem Start in Karachi schien sich das Glück von ihnen abzuwenden: zuerst ließ sich das Fahrwerk nicht mehr einfahren. Rückkehr und nachfolgende Reparatur kostete wertvolle Zeit, was noch verschlimmert wurde, als Jim Mollison beim hektischen Start das Kartenmaterial am Boden vergessen hatte. Das Glück sollte sich nun vollends von den beiden abwenden. Auf dem Weg nach Allahabad verflogen sie sich so gründlich, dass sie mit leeren Tanks in der Nähe von Jabalpur notlanden mussten. Nachdem man tatsächlich Benzin für sie organisieren hatte können, kam das Aus für die beiden bei ihrer nächsten Landung in Allahabad. Der Treibstoff, tauglich für den Betrieb von Automotoren, hätte niemals in die getunten Gipsy Six Motoren gelangen dürfen. Mit festgefressenen Kolben musste G-ACSP „Black Magic“ das Rennen aufgeben.
Auch für G-ACSS als „Grosvenor House“ gab es haarige Momente. Nachdem sie einige Tage sehr gut im Rennen gelegen waren, sah es für Scott und Black plötzlich ebenfalls nach einem vorzeitigen Renn-Ende aus: über Darwin musste ein Motor gestoppt werden, nachdem der Öldruck unter die Grenzwerte gefallen war. Nachdem ein zufällig anwesender De Havilland-Mechaniker das Problem in Form eines verstopften Ölfilters gefunden hatte, war der Weiterflug gerettet. Trotz anhaltender Probleme mit dem Triebwerk - und einer ausgefallenen Mechanik der Propellerverstellung - gelang den beiden die erhoffte Bestleistung: A.O. Edwards „Lady in Red“ hatte das Victorian Centenary Air Race, das MacRobertson Luftrennen, für sich entscheiden können!
Spannend ist auch die Geschichte der dritten Comet, Rubens grüner G-ACSR. Hier begannen die Reparaturen schon vor dem Rennen: beim Fly-in in Mildenhall am Tag vor dem Rennstart wurde ein Propeller verbogen. Die Mechaniker schufteten die Nacht durch und schafften es gerade noch rechtzeitig, die verbogenen Blattspitzen wieder gerade zu bekommen und so den Start von G-ACSR zu sichern. Das Rennen über schlug sich die Maschine wie die Besatzung hervorragend, womit ein respektabler vierter Platz konnte belegt werden. Wirklich Geschichte schrieb die grüne G-ACSR jedoch nachfolgend. Am Tag nach dem Rennen starteten Cathcart-Jones und Waller zum Rückflug nach England, in der konischen Bugnase ihrer Comet befanden sich die Filmrollen mit den Aufnahmen der am Zielort eintreffenden Flugzeuge. Ihre gesamte Reise London-Melbourne-London hatte 13 Tage, 6 Stunden und 43 Minuten gedauert: Cathcart-Jones und Waller konnten damit einen neuen Rekord aufstellen.
G-ACSS „Grosvenor House“ hatte mit einer reinen Flugzeit von 71 Stunden das Rennen für sich entscheiden können; wie hatte sich vor dem Hintergrund dieser Leistung die gefürchtete US-Konkurrenz geschlagen? Die niederländische Douglas DC-3 mit der Kennung und Name PH-AJU Uiver belegte mit 90 Stunden und 13 Minuten Platz zwei, Boeing 247D folgte mit 92 Stunden und 55 Minuten dicht dahinter auf Platz drei. Zum Bausatz
Die DH.88 zählt zur Gruppe jener Bausätze, bei denen ich, kaum bestellt und geliefert, auch schon ans Bauen ging. Zu groß war hier die Freude über die Möglichkeit, eine DH.88 Comet bauen zu können, als dass der Bausatzlange herumliegen würde! Ein erste Blick in die prallvolle Schachtel verhieß auch durchwegs Gutes, Mikro Mir schien hier an nichts gespart zu haben. Besonders beeindruckt haben mich die Motorendarstellungen, denn hier könnten beide Gipsy Six ohne Verkleidung und bis ins Detail gezeigt werden.
Der Bau selbst ist recht komplex, will man wirklich die Motoren zeigen, müssen die Bauschritte noch einmal sorgsamer geplant werden. Dabei zeigte sich auch eine Besonderheit der Bauteile: einerseits sind viele Details prächtig vorbereitet - andererseits müssen aber buchstäblich alle Teile nachbearbeitet werden, denn Fischhaut, Sinkstellen und unsauberer Guss sind epidemisch. Als Beispiel dazu möchte ich auf die Teile, welche die Zylinder des Gipsy Six darstellen, verweisen: wirklich jeder einzelne hat eine kleine Sinkstelle, die aufgefüllt werden müsste. Mich hat diese Eigenheit in dem Entschluss bestärkt, die Comet fliegend darzustellen. Mir gefiel dies auch deshalb, da so die unglaublich schnittigen Formen und die eleganten Proportionen der DH.88 bestens zur Geltung kommen können.
Sobald die Entscheidung für ein geschlossenes Cockpit und ein eingezogenes Fahrwerk gefallen war, konnte der Bausatz seine Stärken ausspielen: die Formen sind prächtig getroffen und der Bau verläuft weitgehend passfreudig. „Weitgehend“ meint hier aber trotzdem: man sollte angemessene Zeit für Spachteln und Verschleifen einreichen, um den fließenden und strukturarmen Oberflächen der Comet nahe zu kommen.
Ich bin Mikro Mir wirklich dankbar, dass sie der Modellbauwelt endlich eine stimmige und gut zu bauende DH.88 Comet ermöglichen, nichtsdestotrotz wird der Bausatz eher den ambitionierten und erfahrenen Modellbauer glücklich machen. Allen an der DH.88 Interessierten möchte ich abschließend Guy Inchbalds „The Comet Air Racers Uncovered“ wärmstens empfehlen. Der Großteil der hier angeführten Angaben ist darin zu finden.
Wenn Ihr Euch selbst ein Bild vom Bausatz und dem Bauprozess machen möchtet, kommt Ihr hier zu einem ausführlichen Baubericht auf „Scalemates Wie immer stehe ich für Anregungen und Fragen offen: ro.sachsenhofer@gmx.at Roland Sachsenhofer Publiziert am 11. September 2023 © 2001-2024 Modellversium Modellbau Magazin | Impressum | Links |