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Berblinger Flugapparat (1811)

“Der Schneider von Ulm”

von Jürgen Wagenknecht (1:72 Eigenbau)

Berblinger Flugapparat (1811)

Zum Vorbild

Alfred Ludwig Berblinger wurde vor 250 Jahren in Ulm geboren und starb dort 1829. Dass man ihm zu Ehren Festakte zu seinem 250 jährigen Geburtstag abhalten würde, hätte er sich sicherlich nie gedacht, denn er wurde berühmt-berüchtigt durch seinen Fehlschlag, der ihn gesellschaftlich ächtete und in die Armut trieb. So starb er auch vollkommen verarmt und mittellos. Heute gibt man ihn die Würdigung, die er verdient hat, denn er baute den ersten funktionsfähigen Gleitflieger der Geschichte, über 80 Jahre vor Otto Lilienthal.

Berblinger Flugapparat (1811)

Er kam schon als Kind über seinen Vater mit mechanischen Gerätschaften in Berührung. Gerne wäre er Uhrmacher geworden, musste aber nach den Tod seines Vaters mit 13 Jahren in ein Waisenhaus, wo er eine Schneiderlehre absolvieren musste. In diesem Beruf war er scheinbar recht gut, denn schon mit 21 Jahren war er Meister. Nebenher betrieb er seine technischen Studien und beschäftigte sich mit der Fliegerei, was ihn auch mit seiner Zunft Ärger einbrachte. Neben seiner bekanntesten Erfindung des Hängegleiters erfand er, inspiriert durch die versehrten Heimkehrer aus den napoleonischen Kriegen, auch eine Beinprothese. Diese war die erste mit Gelenk und auch seiner Zeit weit voraus. Seine erfolgreichen Flugversuche führte er am Michelsberg vor Ulm durch. Aus heutiger Sicht weiß man, dass durch die Südlage des Hanges sich dort sehr günstige Voraussetzungen für thermische Aufwinde befinden.

Berblinger Flugapparat (1811)

Ulm kam von Bayern nach Württemberg und der König besuchte seine neuen Untertanen. Damit begann das Unglück von Berblinger. Er wollte seine Flugkünste vorführen, aber der Starttermin wurde durch den Königsbesuch vorverlegt. Da der König wohl recht beleibt war, wollte man ihm den Weg in die Weinberge nicht zumuten und so musste Berblinger in der Stadt starten. Auch der von ihm vorgeschlagene Startpunkt vom damals erst 100 m hohen Kirchturm wurde abgelehnt und er musste deshalb von einer 13 m hohen Mauer starten, die er noch durch ein Startgerüst um 7 m auf 20 m vergrößerte. Am geplanten Tag bemerkte Berblinger die für ihn ungewohnten Windverhältnisse und verschob deshalb den Flugversuch um einen Tag.

Berblinger Flugapparat (1811)

Der König war zwar schon abgereist, aber sein Bruder und die Prinzen waren noch anwesend. Die Windverhältnisse hatten sich aber nicht geändert und er verzögerte den Start in der Hoffnung, dass diese sich verbessern würden. Schließlich ging es nicht mehr anders. Zudem rempelte ihn ein Polizeidiener an, wodurch er nicht genug beschleunigen und den Gleiter in einen günstigen Anstellwinkel bringen konnte. So geschah, was geschehen musste und Berblinger stürzte, auch bedingt durch die Fallwinde über der kalten Donau, eben in diese. Danach wurde er als Lügner und Betrüger beschimpft, seine Kunden blieben aus und der gesellschaftliche Abstieg begann. Berblinger selbst verstärkte diesen noch, da er seinen Kummer im Alkohol zu vergessen trachtete.

Quellen: Wikipedia, www.ulm.de

Berblinger Flugapparat (1811)

Mein Modell

Inspiriert zum Bau des Berblinger Flugapparates wurde ich durch eine kleine Anzeige in der Flieger Revue X Nr. 83 mit der Drauf- und Seitenansicht vom „Schneider von Ulm“. Im Internet fand ich dann noch die Angabe der Spannweite mit 6,60 m, so dass ich mir die Zeichnung korrekt skalieren konnte, die man auch problemlos im Web findet. Da dachte ich mir, den müsste man doch auch ohne Bausatz bauen können.

Berblinger Flugapparat (1811)

Für die Flügel überlegte ich mir Laminierfolie zu nehmen. In diese positionierte ich aus 0,15 mm Angelgarn auf jede Rippe einen Faden, der dann einlaminiert wurde. Um die Fäden korrekt zu platzieren, legte ich die skalierte Draufsicht unter die Laminierfolie und fixierte die Fäden an beiden Enden mit Sekundenkleber. Nach dem Laminieren bekam ich einen strukturierten Flügel, der dann noch ausgeschnitten wurde auf Basis der zuvor mit einem Permanent-Marker aufgemalten Kontur. Die Struktur durch das Angelgarn war dann auch eine gute Hilfe, um die Segmente der Flügel abzukleben und die zweifarbige Bemalung aufzubringen.

Berblinger Flugapparat (1811)

Bei der Bemalung wurde es dann leider zweideutig. Es gibt scheinbar zwei Nachbauten des Berblinger Flugapparates. Einer hängt im Rathhaus von Ulm, einer anscheinend im Otto-Lilienthal-Museum in Anklam. Gesehen habe ich keinen im Original, nur Fotos. Der in Ulm ist Weiß-Rot, der in Anklam Gelb-Rot. Ich entschied mich für die gelb-rote Variante, da zeitgenössische Karikaturen vom Schneider diese Farbgebung zeigen. Bei der Segmentierung hielt ich mich an die Zeichnung, die angeblich von Berblinger selbst angefertigt wurde, denn auch hier weichen die Nachbauten geringfügig ab.

Berblinger Flugapparat (1811)

Gebogen wurde der Flügel dann mit Hilfe von Löffeln und heißem Wasser, was recht gut funktionierte. Die Fäden aus Angelgarn helfen dabei, dass der Flügel durch die dreidimensionale Biegung sich nicht unkontrolliert an den falschen Stellen wölbt.

Berblinger Flugapparat (1811)

Für die Unterkonstruktion des Flügels hielt ich mich im wesentlichen an den Nachbau von Ulm, denn der in Anklam schien mir der Nachbau für den Film „Der Schneider von Ulm“ aus dem Jahre 1978 zu sein. Dort wurde der Gleiter etwas angeglichen an moderne Hängegleiter und die Unterstruktur sah mir zu modern aus. Das Aufnahmejoch wurde aus Plastiksheet geschnitten und mit Drähten ergänzt. Die gleichen Materialien kamen für die Spannmasten zum Einsatz.

Berblinger Flugapparat (1811)

Dann musste ich mir noch Gedanken über das „Fahrwerk“, d. h. über Berblinger selbst machen. Ich googlete eine ganze Zeit nach einer passenden Figur, bis ich mich für das RAF Personel von Airfix entschied. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass der Lollipop-Mann eine recht gute Ausgangsstellung hat und es Figuren ohne Kopfbedeckung gibt.

Berblinger Flugapparat (1811)

Die ausgewählten Figuren mussten dann in die Chirurgie. Der Lollipop-Mann bekam zur Strafe, dass er eine Kopfbedeckung trug, den Kopf ab. Ein Kollege bekam zur Strafe, dass er keine Kopfbedeckung trug ebenfalls den Kopf ab. Manchmal kann die Welt ungerecht sein. Dann wurden meiner Basisfigur erst die Hände entfernt und dann die Arme, damit diese in gedrehter Stellung wieder angebracht werden können. Die Hände spendete passender Weise ein Pilot. Dabei konnte ich auch seinen linken Arm inkl. Hand komplett verwenden. Die Hose mit Schuhen konnte ich unverändert auch für die napoleonische Zeit nutzen. Beim Oberkörper wurden Taschen, Krawatte etc. weggeschliffen und dann neue Strukturen für die Jacke eingefräst. Aus dünner Folie einer Verpackung baute ich einen Stehkragen und die Binde, die man in den Zeichnungen um seine Hüfte sieht. Die Fliege, ziemlich knifflig in diesem Maßstab, formte ich aus Angelgarn. Bemalt wurde dann wieder auf Basis der Karikaturen.

Berblinger Flugapparat (1811)

Als Basis nutzte ich noch etwas von der Grasmatte aus den Lilienthal-Bausatz, die wieder auf eine runde Pfandmarke geklebt wurde. Somit wandelt mein Lilienthal auf dem gleichen Boden wie mein Berblinger, was doch recht passend ist.

Berblinger Flugapparat (1811)

Nachdem alles zusammengebaut und bemalt war, musste noch verspannt werden. Da wurde ich erst einmal etwas blass, denn der Gleiter ist bei jedem Flügel an jeder Spante zweimal oben und unten verspannt. Bei 24 Spanten pro Flügel machte das dann insgesamt 192 Verspannungen aus, die ich wie bei mir üblich, aus dünnem Draht fertigte und mit Sekundenkleber fixierte. Das Ganze wurde aber auf mehrere Tage verteilt, um möglichen Demotivationserscheinungen zuvor zu kommen.

Berblinger Flugapparat (1811)

Bemalt wurde mit Revell-Farben, größtenteils Aquacolor, die sich aus meiner Sicht, gerade wenn man pinselt, besser verarbeiten lassen. Für die Maserung bei den Holzscheiben kam noch Ölfarbe zum Einsatz.

Berblinger Flugapparat (1811)

Fazit

Nachdem ich dann den Flugapparat samt Piloten fertig gestellt habe, bin ich mit meinem ersten Eigenbau recht zufrieden. Somit kann man doch die eine oder andere Lücke im Mainstream-Modellbausatzangebot schließen und wenn Alfred Ludwig Berblinger wegen Corona schon nicht alle Würdigungen zu seinen 250. Geburtstag bekommen kann, dann soll er wenigstens als Modell erscheinen!

Berblinger Flugapparat (1811)

Jürgen Wagenknecht

Publiziert am 06. Juli 2020

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